091 - Die Bräute des Henkers
Kapuze, hat eine schwarze Maske vor dem Gesicht und ein blitzendes Richtbeil in der Hand. Und er bestraft alle, die gegen den Willen des Marquis handeln.
„Und was ist ein böses Loch? Gibt es mehrere auf der Insel?"
„Nein, nur ein einziges. Etwas schauderhaft Böses lebt darin. Man kann es spüren. Es verscheucht mich, wenn ich ihm zu nahe komme. Manchmal lockt es Tiere an, Vögel oder wilde Schafe, von denen es einige Dutzend auf der Insel gibt. Dann zerreißt es sie, und das Blut spritzt umher. So ist damals auch die neugierige Magd gestorben. Der Marquis war auch schon bei dem bösen Loch. Er schaute in das Loch hinein, aber ihm ist nichts passiert."
Das war eine seltsame Geschichte. Coco mußte dieses böse Loch sehen.
„Kannst du mich zu dem Loch hinführen?" fragte sie.
Pierre überlegte kurz und nickte dann. Coco wollte jedoch erst einmal ihren Fuß untersuchen. Sie zog den Reißverschluß des Stiefels herunter, und Pierre half ihr, den Stiefel auszuziehen. Coco mußte die Zähne zusammenbeißen.
Die Verletzung war nicht so schlimm, wie sie geglaubt hatte. Durch das Bluten hatte sich die Wunde gereinigt. Den Stiefel wollte Coco indessen nicht mehr anziehen.
„Ist das böse Loch weit von hier?" fragte sie Pierre.
„In einer Stunde könnten wir dort sein", sagte der Schwachsinnige.
Vorher wollte Coco ihren Fuß verbinden. In ihrem Koffer hatte sie Verbandszeug, und der lag nicht weit von hier.
„Ich brauche meinen Koffer", sagte sie zu Pierre. „Dann sehen wir uns das böse Loch an. Kann ich heute nacht in deiner Hütte bleiben?"
Pierre kratzte sich hinterm Ohr und am Kopf. Er stand auf und machte alle möglichen Verrenkungen, so verlegen war er.
„J-j-ja", stotterte er endlich. „Aber du bist sicher etwas viel besseres gewöhnt, Coco. Die Hütte ist primitiv, eigentlich nur für meine Ansprüche gedacht."
„Der Geist, der unter einem Dach wohnt, ist weit wichtiger, als das Dach selbst", sagte Coco. „Bei dir bin ich lieber als im Schloß bei dem Marquis, Pierre."
Der verwilderte und zerlumpte junge Mann wurde tatsächlich rot.
„Ich werde dich stützen", sagte er. „Komm!"
Coco erhob sich. Mit nur einem Stiefel hinkte sie neben Pierre her. Als sie sich einige Meter von dem bemoosten Stein entfernt hatten, begann das dämonische Heulen. Man konnte nicht ausmachen, woher es kam. Es hörte sich ähnlich an wie das Wolfsgeheul in einer frostklaren Nacht; und doch klang es auch wieder anders, viel wilder, furchtbarer, bösartiger. Selbst Coco glaubte nicht, daß dieses Geheul einen natürlichen Ursprung hatte.
Sie fröstelte.
Auch Dorian Hunter und seine Gefährten hörten das dämonische Geheule. Sie hatten ihr Zelt im Nordteil der Insel aufgeschlagen, im unwegsamen Hügelgelände.
Abi Flindt, der große, muskulöse Däne, sprang auf und sah sich nach allen Seiten um. Er hielt eine Signalpistole in der Hand. Mit ihr konnte man nicht nur Leuchtraketen verschießen, sondern auch sich in der Luft zu Dämonenbannern verwandelnde entflammbare Kugeln. Im Kampf gegen die Dämonen waren sie eine fürchterliche Waffe. Die moralische Wirkung war außerordentlich. Und man konnte diese feurigen Dämonenbanner auch in die Leiber der Schwarzblütigen hineinschießen.
„Sei nicht so nervös, Abi!" sagte Dorian. „Von dem Geheule allein passiert uns nichts. Magnus Gunnarsson und ich machen uns jetzt auf zum Schloß, um uns dort umzusehen. Auf dieser Insel gibt es eine Menge Verstecke und Schlupfwinkel. Wir müssen die Einheimischen ausfragen, sonst finden wir Luguris Grab vielleicht nie oder erst, wenn es zu spät ist."
Dorian hatte sich bereits in London vom Computer der „Mystery Press" die Daten über die Paradiesinsel und den Marquis Carles-Henri de Calmont besorgt. Er hatte gehofft, Magnus Gunnarsson würde am Tag nach ihrer Ankunft auf der Paradiesinsel auf magische Weise das Grab des Luguri ausfindig machen. Aber das hatte Gunnarsson nicht gekonnt, zu Dorians Enttäuschung. Er mußte schon auf die herkömmlichen Methoden zurückgreifen.
„Wie wollt ihr es anstellen?" fragte Flindt. „Einfach aufs Schloß spazieren, dem Marquis die Hand schütteln und ihn höflich um die Auskunft bitten? Nach allem, was ich über ihn gehört habe, mag er keine Fremden auf seiner Insel.
„Wir sehen uns um", antwortete Dorian knapp. „Wir werden schon jemanden finden, der uns die Auskünfte gibt, die wir brauchen."
„Er braucht es ja nicht unbedingt freiwillig zu tun", fügte Gunnarsson
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