091 - Die Bräute des Henkers
andern immer wieder verstohlen gähnten. Im Kristallüster brannten Wachskerzen, und das Kaminfeuer knisterte und prasselte.
Nach dem Gesang sagte eines der Mädchen ein längeres Gedicht auf, das Ode an den Mai hieß. Nun mußte auch Coco ein Gähnen unterdrücken. Schließlich führten die Mädchen einen Schreittanz vor, den Georgette auf dem Spinett begleitete.
Der Graf saß in der Ecke auf einem Schemel, die Arme vor der Brust verschränkt, und war sichtlich zufrieden. Für ihn war das ein gelungener Abend. Um halb elf wurden endlich die andern entlassen, und der Graf bat Coco zu einem Gespräch in den Blauen Salon. Das war ein kleines Zimmer mit blauen Tapeten, einem blauen Diwan und einer blauen Sitzgruppe; Sogar die Tischplatte war blau eingelegt.
„Nun, meine liebe Demoiselle de Tinville", fragte de Calmont, „was haltet Ihr von dem Leben auf Schloß Calmont?"
Coco produzierte einen schwärmerischen Augenaufschlag.
„Mein lieber Marquis, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Von einem Leben wie dem hier habe ich schon immer geträumt. Draußen in der Welt ist alles so kalt, sachlich und nüchtern. Mir ist, als wäre ich nach langen Irrfahrten nach Hause gekommen."
„Tatsächlich?"
De Calmont hatte offensichtlich einige Einwände erwartet. Coco fürchtete schon, sie hätte zu dick aufgetragen. Aber das war bei dem Marquis kaum möglich.
„Meine liebe Demoiselle, es freut mich sehr, daß ich in Euch eine verwandte Seele gefunden habe. Wir wollen dann gleich den Kontrakt unterzeichnen. Über die finanzielle Seite hat Euch sicher Solange de Bloissy bereits aufgeklärt?"
„Ja"
„Gut. Dann unterschreibt! Eine Aufstellung Eurer finanziellen Verbindlichkeiten könnt Ihr mir dann morgen liefern."
„Ich habe keine. Es widerstrebt mir fast, für den Vorzug, hier leben zu dürfen, noch Geld anzunehmen."
„Aber ich bitte Euch! Ich halte hier Hof. Schon zu allen Zeiten wurde den Hofdamen ein Budget ausgesetzt. Das ist Tradition."
„Ihr seid ein Mann von Ehre, Marquis."
Coco kam sich wie in einem drittklassigen Schmierentheater vor.
Der Graf läutete, und ein Diener kam mit einem vorgeschriebenen Kontrakt, einem Tintenfaß und einer Feder.
Natürlich waren die drei Vertragsexemplare mit der Hand geschrieben. Coco unterzeichnete alle drei und erhielt dann eines davon. Der Marquis küßte ihr galant die Hand und sagte, er sei überzeugt, daß sie eine Zierde von Schloß Calmont werden würde.
Der Diener führte Coco auf ihr Zimmer. Sie überlegte, ob es nicht besser gewesen wäre, den Grafen gleich zu hypnotisieren. Aber sie wollte erst einmal abwarten.
In ihrem Zimmer schloß Coco die Tür ab, kleidete sich aus, schminkte sich ab und zog ein seidenes Nachthemd über. Es war angenehm warm im Zimmer. Ein Diener hatte die Fensterläden geschlossen. Man hörte den Sturm heulen und daran rütteln. Das unheimliche und dämonische Geheule hatte Coco bisher noch nicht gehört.
Sie setzte sich auf das Bett. Eine Stunde nach Mitternacht wollte sie Pierre im Wintergarten treffen. Er hatte ihr die Räumlichkeiten des Schlosses erklärt, so gut er das vermochte. Von ihm hatte sie auch schon einiges über die Schloßbewohner erfahren.
Durch die Wärme im Zimmer wurde Coco schläfrig. Sie gähnte ein paarmal. Trotz des Brausen des Windes draußen hörte sie das Ticken der Uhr auf dem Wandsims. Der Minutenzeiger rückte auf Mitternacht.
Die von der Decke hängende Petroleumlampe brannte und verbreitete ein sanftes Licht. Da hörte Coco ein Geräusch an der Tür. Obwohl sie abgeschlossen war und der Schlüssel von innen steckte, öffnete sie sich, als die Klinke niedergedrückt wurde.
Eine unheimliche Gestalt mit einer Laterne in der Linken und einem blitzenden Richtbeil in der Rechten trat ein. Sie trug einen dunkelroten Kapuzenmantel und hatte eine schwarze Maske vor dem Gesicht. In den Augenschlitzen glühte es gelb.
Der Mitternachtshenker war gekommen.
Er schloß die Tür hinter sich und stellte die Laterne ab. Langsam trat er ans Bett zu der reglos dasitzenden Coco. Sie merkte, daß der Unheimliche keine dämonische Ausstrahlung hatte, und das beruhigte sie. Mit einem Menschen würde sie fertig werden, dachte sie.
Das scharfe Richtbeil blitzte im Lampenlicht.
„Valerie de Tinville", sagte der Unheimliche mit Grabesstimme.
„Ja?" antwortete Coco.
Sie bemühte sich, ihre Stimme beben zu lassen und Angst zu zeigen.
Der Mitternachtshenker beugte sich über sie.
„Gehorche dem Willen des Marquis
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