091 - Die Bräute des Henkers
damit Ihr euch waschen könnt."
Ein Kachelofen in dem stilecht eingerichteten Rokokozimmer verbreitete behagliche Wärme.
„Eine Zentralheizung gibt es nicht?" fragte Coco.
Der grauhaarige Bedienstete schüttelte den Kopf. „Das fließende Wasser ist das einzige Zugeständnis an die moderne Zivilisation."
„Wie viele Leute leben denn im Schloß, Robert?"
Robert verbeugte sich knapp.
„Die Comtesse de Bloissy wird Euch alles berichten, was Ihr wissen müßt, Demoiselle. Entschuldigt mich jetzt."
Steif und gemessenen Schrittes ging er davon.
Coco hätte fast laut gelacht, so unwirklich und komisch kamen ihr das Schloß und seine Bewohner vor. Aber sie wußte, daß die Sache einen sehr ernsten Hintergrund hatte, und als sie daran dachte, verging ihr die Lust zum Lachen abrupt.
Ein Diener brachte Cocos Koffer. Vorher schon hatte sie die Kutsche vor das Schloß vorfahren sehen. Graf Charles-Henri de Calmont war ausgestiegen und hatte gleich begonnen, ein paar Bedienstete, die seine Anordnungen erwarteten, umherzuscheuchen. Es fielen Ausdrücke wie „Elende Lakaien" und „Domestikengesindel". Coco fragte sich, weshalb die Leute sich das bieten ließen. War Geld allein der Grund? Oder fürchteten sie den Grafen derart, daß sie keine Widerrede wagten?
Als der Diener gegangen war, betrachtete Coco ihren Koffer. Das Haar, das sie an der Seite über den Spalt zwischen Ober- und Unterteil geklebt hatte, war zerrissen. Also hatte jemand einen Blick in den Koffer geworfen. Zwar war der Koffer abgeschlossen gewesen, aber für einen Experten mit einem Dietrich stellte ein Kofferschloß kein Problem dar. Doch außer Cocos Dessous hatte jener Spion nichts Interessantes im Koffer entdecken können.
Es klopfte an der Tür. Auf Cocos „Herein" trat jene Blondine ein, die sie schon am Vortag im Park gesehen hatte. Solange de Bloissy. Sie nannte ihren Namen.
Es war inzwischen halb fünf Uhr nachmittags geworden und wurde schon düster in dem geräumigen Zimmer. Die Möbel, alle stilecht, und der dicke Teppich waren eine Menge Geld wert.
Coco reichte Solange die Hand.
„Sie sollen mich also über die Gebräuche hier aufklären. Nun, dann tun Sie es und reden Sie ruhig offen! Das ist ein ziemlich merkwürdiger Verein hier."
Cocos burschikoser Ton kam bei Solange gut an. Sie setzte sich auf eines der zierlichen Stühlchen, die sich als überraschend stabil erwiesen. Sonst standen noch ein Bett, ein schöner alter Schrank, eine Spiegelkommode und der Kachelofen in dem Zimmer. Zwei Türen führten in kleine Kammern. Die eine enthielt ein WC mit vergoldeter Brille, die andere diente als Wasch- und Abstellraum.
„Laß das alberne Sie und sprich mich ja nicht mit Ihr oder Euch an, sonst bekomme ich einen Schreikrampf! Du scheinst recht vernünftig zu sein. Weshalb bist du eigentlich hergekommen?"
„Aus Neugierde", antwortete Coco. „Ich las einen Artikel von de Calmont im Adelsalmanach und wollte mir das Schloß und die Insel mal ansehen."
Solange schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Du liebe Güte! Aus Neugierde! Bist du denn noch zu retten? Ich kam her, weil ich bis über beide Ohren verschuldet war. Ich habe auf eine Annonce im France Soir geschrieben. Ich kann sie dir noch auswendig aufsagen. Sehr gut bezahlte Dauerstellung für hübsche junge Damen mit gesellschaftlichem Niveau, Adelstitel bevorzugt. Finanzielle Verbindlichkeiten werden diskret und großzügig geregelt. Chiffre Louis Roi-Soleil. Dann kam ich her, und der Graf machte mir ein wirklich ausgezeichnetes Angebot. Ich habe einen Vierjahresvertrag unterschrieben in meiner Verblendung, gleich in der ersten Nacht. De Calmont faselte von rauschenden Festen, die er hier geben wollte, von Gesellschaften, und jedes Jahr sollte ich sechs Wochen Urlaub bekommen. Dazu sechstausend Francs im Monat, Garderobe, Logis und alles frei. Jetzt bin ich schon anderthalb Jahre hier und weiß, was los ist."
„Was ist denn los?"
„Die rauschenden Feste sind die albernen Spinett- und Menuettabende des Grafen. An den Gesellschaften nehmen nur er und wir acht Frauen - neun mit dir jetzt - teil. Und was den Urlaub angeht, so hatte ich eine kleine Klausel im Vertrag übersehen.
Der Graf behält es sich vor, ihn gegen eine finanzielle Vergütung zu streichen, falls er unserer Anwesenheit hier bedarf. Als Arbeit kann man das nicht bezeichnen, was wir hier machen, und wir leben auch nicht schlecht. Sogar an die Petroleumfunzeln und den ganzen anderen altmodischen Kram
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