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091 - Die Bräute des Henkers

091 - Die Bräute des Henkers

Titel: 091 - Die Bräute des Henkers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenkiller
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könnte man sich gewöhnen. Aber es ist so eintönig hier, daß ich von morgens bis abends schreien möchte. Menuett- und Reigentanzen üben, Handarbeiten machen, Spinettspielen, allenfalls noch Gymnastik und Ballspiele im Sommer. Einen alberneren Tagesablauf kannst du dir nicht vorstellen. Zweimal im Monat führen wir für den Grafen eine Scharade auf. Und natürlich gibt es Diners und Teegesellschaften. Von den Büchern in der Bibliothek ist keines später gedruckt als 1800. Ich gäbe tausend Francs für einen Schundroman, irgendeinen mit ein bißchen Spannung und Liebe." Sie holte tief Luft und fuhr gleich fort. „Und diese alberne Konversation, die man hier machen muß! Selbst die Dienerschaft darf man nur in der dritten Person anreden. In Gegenwart des Grafen sollen wir möglichst nicht über Themen sprechen, die über das Jahr 1800 hinausgehen. Dieser Narr glaubt tatsächlich, er kann die Zeit zurückdrehen."
    Nachdem sie ihren Gefühlen Luft gemacht hatte, wurde Solange ruhiger. Sie legte den Finger auf die Lippen, lauschte, schlich dann auf Zehenspitzen zur Tür und riß sie plötzlich auf; aber es war niemand zu sehen auf dem Flur.
    Solange schloß die Tür wieder und kehrte zu Coco zurück.
    „Bleib nur nicht hier!" sagte sie. „Sag zu dem Grafen, du hättest es dir überlegt und wolltest wieder weg! Und wenn du fort bist, verständige ein paar Freunde von mir in Paris! Sie sollen mich hier herausholen. Das ist schlimmer als Gefängnis. Ich pfeife auf das Geld und alles. Ich will endlich wieder leben."
    „Der Graf läßt euch nicht weg?"
    „Nein. Wer den Vertrag unterschrieben hat, ist gebunden. Wenn eins von den Mädchen sich allzu widerspenstig zeigt, bekommt es Stubenarrest." Solange flüsterte jetzt. „Eine lächerliche Strafe, denkst du wahrscheinlich. Da irrst du dich sehr. Der Mitternachtshenker kommt und ,überredet’ die Widerspenstigen. Nach seinem Besuch sind sie lammfromm. Von anderen, die schon länger hier sind, habe ich gehört, daß drei oder viermal eines der Mädchen verschwunden ist. Der Graf sagte, er hätte sie weggeschickt, sie hätten nicht auf die Insel gepaßt. Aber ich glaube nicht, daß sie je auf dem Festland angekommen sind."
    „Du meinst, sie sind umgebracht worden?"
    „Ich weiß es nicht. Niemand kann etwas Bestimmtes sagen. Die Bediensteten haben auch alle langfristige Verträge. Manche sind schon zehn Jahre und mehr bei dein Grafen. Ich sehne mich jedenfalls nicht nach einem Besuch des Mitternachtshenkers."
    Coco erfuhr, daß neun junge Frauen sich auf dem Schloß befanden, sie und die Tochter des Grafen mitgerechnet. Es gab zwanzig Bedienstete - zwölf Männer und acht Frauen - die alle möglichen Aufgaben hatten. Charles-Henri de Calmont hatte allen streng verboten, die Umgebung des Schlosses zu verlassen. Selbstschüsse und Fangeisen sicherten das Gelände, wie Coco am eigenen Leib verspürt hatte. Außerdem hielt der Graf abgerichtete Hunde, und er hatte eine gutbestückte Waffenkammer. Hier machte sich sein Rokokokomplex nicht bemerkbar; die Waffen waren sehr modern. „Oben im Schloß gibt es sogar eine Schnellfeuerkanone", erzählte Solange. „Ich sage dir, Valerie, dieser Charles-Henri de Calmont ist vollkommen verrückt."
    Coco erfuhr noch einiges über die anderen jungen Frauen im Schloß und die Bediensteten. Die Mädchen haßten den Grafen alle, weil er ihnen die schönsten Jahre ihres Lebens stahl. Jede hätte ihn lieber heute als morgen verlassen und seinem Schloß und seiner Insel den Rücken gekehrt. Eines der Mädchen war schon dreieinhalb Jahre hier, die anderen zwischen einem halben Jahr und zweieinhalb Jahren.
    „Wie ist es, wenn der Kontrakt abgelaufen ist?" wollte Coco wissen. „Läßt der Graf die Mädchen dann gehen?"
    „Wie ich gehört habe - ja. Dann hat sich eine Menge Geld angesammelt, und die von der Insel Entlassenen vergessen die trostlose Zeit ziemlich schnell. Aber bis es soweit ist…"
    „Gibt es keine Schwierigkeiten mit Familienangehörigen, Freunden und dergleichen?"
    „Die meisten von uns stehen ziemlich allein da. Von Freunden wird man schnell vergessen, wenn man erst mal eine Weile weg ist. Wir schreiben regelmäßig Briefe an unsere Angehörigen, sofern wir welche haben. Es ist auch zwei- oder dreimal vorgekommen, daß Angehörige von Mädchen auf die Insel kamen. Wenn sie drohten, Schwierigkeiten zu machen, weil sie ihre Töchter oder Schwestern nicht sehen durften, gab der Graf nach und lud sie ins Schloß ein. Die

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