091 - Die Braut des Hexenmeisters
leise. „Dieser Laden hier ist eine Goldgrube.“
Die Gäste drängten sich jetzt um die beiden. Manon nahm die Glückwünsche mit stereotypem Lächeln entgegen. Einige der geladenen Herren waren bereits von der außergewöhnlichen Seance unterrichtet, die am Vorabend im Turm stattgefunden hatte. Ihre Glückwünsche klangen aufrichtig. „Sie passen im Geist so perfekt zusammen“, meinten sie, „daß man geradezu von einem idealen Ehepaar sprechen kann.“ Ein Staatsbeamter, der gestern die Sitzung miterlebt und dem ein Geist aus Manons Mund einen Ministerposten prophezeit hatte, drückte Manons Hand besonders lang und herzlich. „Werden Sie glücklich, mein Kind!“ dröhnte er mit einer lauten Baßstimme. „So glücklich, wie Sie mich gestern mit Ihrer Voraussage gemacht haben. Und wenn meine Ernennung zum Minister zufällig mit Ihrer Hochzeit zusammenfallen sollte, dann bekommen Sie als Hochzeitsgeschenk“, er beugte sich zu Manons Ohr hinunter, „das Offizierskreuz der Ehrenlegion!“
Manon bedankte sich lächelnd, obwohl sie gar nicht wußte, was sie dem Mann gestern nacht prophezeit hatte. Sie war nur froh, daß es nach der Ankündigung ihrer Verlobung keine mißgünstigen oder gar feindseligen Gesichter gab. Simone, die Haushälterin, war ja zum Glück nicht im Haus. Alain würde ihr die Neuigkeit schonend beibringen. Und Yvette ebenfalls. Sie war dankbar, daß Alain so taktvoll gewesen war, die beiden von der Feier fernzuhalten.
„Hoch lebe das Brautpaar – es lebe hoch!“ rief Monsieur Brasson und hob sein Sektglas. Er war besonders glücklich. Seine Frau würde jetzt endlich einsehen, daß es überhaupt keinen Sinn mehr hatte, jede Woche zweimal zu diesen blödsinnigen Seancen zu gehen. Der Meister war vergeben, dem Teufel sei Dank.
Jemand schaltete das Stereogerät an und legte eine Beatplatte auf. Die Herren forderten die Damen zum Tanz auf. Nur Manon beteiligte sich nicht. Sie fühlte sich zu schwach. Sie setzte sich mit einem Glas Sekt auf einen Barhocker, während Alain die Gäste mit Cocktails versorgte. Sie sehnte jetzt den Tag der Hochzeit herbei, wenn Alain sie zum erstenmal richtig umarmen würde. Er war ihr so fremd und doch so vertraut. Sie wußte nicht einmal mehr, daß sie noch vor zwei Tagen nur an einen anderen Mann gedacht hatte, der ihr viel vertrauter gewesen war als Alain Monod. Sie hatte diesen Mann vollkommen vergessen.
So saß sie eine ganze Weile lang in sich versunken da, während Alain in ihren Gedanken las und den Triumph genoß, daß sie ihn jetzt sogar liebte. Seine Todfeindin liebte ihn! Dieses Gefühl war köstlicher als das Blut ihres Körpers. Sie würde mit diesem Gefühl für ihn sterben, wenn er sie töten würde. Einen glänzenderen Sieg über die Seele eines Menschen konnte es selbst für einen Dämonen nicht geben.
Denn töten mußte er sie eines Tages, das wußte er. Sonst bestand immer noch die Möglichkeit, daß der Fluch gegen ihn in Erfüllung ging.
Er blickte Manon in die Augen. Sie sah nur einen verführerischen, übermütigen Glanz darin, der ihre Sinne belebte. Daß er jetzt an ihren Tod dachte, ahnte sie nicht. Ihr zweites Gesicht war blind geworden.
„Auf unser Glück!“ sagte Alain lächelnd und hob das Sektglas.
„Auf unser Glück“, erwiderte Manon ebenfalls lächelnd. Doch ehe ihre beiden Gläser sich klingend berührten, rief draußen eine scharfe, durch ein Megaphon verstärkte Stimme: „Aufmachen! Der Turm ist umstellt! Aufmachen, Polizei!“
Jemand schaltete sofort die Musik ab. Die Gäste sahen sich überrascht an. Einige eilten zur Garderobe, um ihren Mantel zu holen und sich fortzustehlen.
Plötzlich blendeten draußen Scheinwerfer auf. Sie zielten auf die Fensterluken, und die „Hölle“ war plötzlich taghell erleuchtet. Eine Frau schrie hysterisch auf. Eine andere versteckte sich hinter der Theke.
Alain Monod stand jetzt mitten im Kreuzungspunkt der grellen Lichtbündel. Sein Gesicht war kreideweiß. Aber er verhielt sich genauso überlegen wie immer. „Nur mit der Ruhe, meine Herrschaften“, meinte er mit leiser Ironie. „Es wird sich bestimmt gleich aufklären, daß es sich um einen Irrtum handelt. Der Sekt, den Sie trinken, ist verzollt und bezahlt. Der Kaviar auch. Es sei denn“, meinte er gedehnt und blickte seine Gäste der Reihe nach an, „einer von Ihnen hat sich etwas zuschulden kommen lassen.“
„Aber erlauben Sie mal“, rief der zukünftige Minister entrüstet, „dafür fehlt mir jedes
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