0911 - In der Knochengruft
wirklich von Scotland Yard?«
»So ist es.«
»Komisch.«
»Was ist komisch?«
»So habe ich mir einen Mann von Scotland Yard nicht vorgestellt. Ehrlich nicht.«
»Wie denn?«
»Hm.« Er hob die Schultern. »Kann ich Ihnen auch nichtgenau sagen, aber nicht so.«
Ich strich über seinen Kopf. Natürlich hatte ich Fragen an ihn, er war schließlich wichtig, aber zunächst wollte ich mit seiner Mutter sprechen und fragte ihn, wo sie denn wäre.
»Oben. Sie wollte sich frisch machen.« Er zwinkerte mir zu und meinte altklug: »Das kann aber dauern, Mister.«
»Meinst du?«
»Kennen Sie die Frauen, Sir?«
Ich hob beide Arme. »Etwas schon, Barney, aber bestimmt nicht so gut wie du.«
»Damit habe ich schon Ärger gehabt.«
»Mit den Frauen?«
»Mädchen, Sir. Die in meine Klasse gehen. Da sind vielleicht Schnepfen dabei, Mister.«
»Schlimm, wie?«
»Sage ich Ihnen.«
Wir hörten Tritte auf der Treppe und drehten uns um. Mrs. Madson erschien. Sie hatte einiges von unserer Unterhaltung mitbekommen. Kopfschüttelnd kam sie die Stufen herab. »Du sollst nicht immer soviel reden, Barney.«
»Ich habe nur über meine Erfahrungen gesprochen, Mum.«
»Ja, ja, ich weiß.« Sie verließ die Treppe, blieb vor mir stehen, um mir die Hand zu reichen.
Gilda Madson war ziemlich klein, schlank, trug Jeans und eine karierte Bluse. Ihr Haar hatte dieselbe Farbe wie das ihres Sohnes. Ich schätzte sie auf Mitte Dreißig.
»Ich bin sehr froh, daß Sie gekommen sind, Mr. Sinclair, denn jetzt ist mir wohler.«
»Es war ja auch ein Grund vorhanden.«
»Wenn Sie meinen.«
»Warum nicht?«
Sie lächelte verlegen und hob die Schultern. »Ich habe mit Ihrem Besuch nicht gerechnet, wenn ich ehrlich sein soll. Wissen Sie, ich kann mir vorstellen, daß zahlreiche Meldungen bei Ihnen eingehen, über die Sie nur den Kopf schütteln. Warum hätten Sie gerade meinen Bericht für bare Münze nehmen sollen?«
»Das liegt an meinem Chef.«
»An sonst nichts?«
»Es kommt noch eine Spur Intuition hinzu. Feeling kann man auch dazu sagen.«
»Da haben Sie recht. Aber wir wollen uns nicht in der Küche unterhalten. Kommen Sie mit ins Wohnzimmer. Kann ich Ihnen vielleicht etwas anbieten?«
»Saft?,«
»Geh bitte und hol ihn, Barney.«
»Mach ich doch glatt, Mum.«
Wir betraten den Wohnraum, der sehr hell wirkte. Nicht nur wegen der Sonnenstrahlen, sondern auch wegen der Kiefernmöbel.
Die Nachbarin hatte ihren Vorgarten verlassen und werkelte hinter dem Haus herum. Natürlich stand sie so, daß sie auch durch die Scheibe schauen konnte, was ich mit einem amüsierten Lächeln feststellte. Auch Mrs. Madson hatte die Frau gesehen.
»Wenn es je eine neugierige Person gegeben hat, Mr. Sinclair, dann ist es meine Nachbarin.«
»Das habe ich schon bemerkt.«
»Aber nehmen Sie doch Platz.« Sie deutete auf einen Sessel, und ich drapierte meine Arme auf die hellen Holzrahmen. »Besonders dann, wenn mein Mann nicht da ist.«
»Er arbeitet?«
»Nein«, sagte Gilda Madson, um ihre Stimme dann zu senken. »Er ist leider unterwegs.«
»Wie soll ich das verstehen?«
Die Antwort ließ auf sich warten, weil der Junge den Raum betrat. Auf einem Tablett stand eine Flasche mit Orangensaft. Sie wurde von drei Gläsern umrahmt. Er stellte das Tablett ab und spielte auch weiterhin den Kellner, denn der schenkte uns und sich ein.
»So kenne ich dich ja gar nicht, Barney.«
»Ich bin eben manchmal super.«
»Ein Lichtblick.«
Nachdem wir getrunken hatten, kam ich wieder auf den »Herrn des Hauses« zu sprechen.
»Sie haben gesagt, daß Ihr Mann unterwegs ist, Mrs. Madson…«
»Ja.« Die Frau nickte. »Leider.«
»Er ist zum Steinbruch gefahren!« plapperte Barney und stellte rasch sein Glas ab. »Er will sich die Höhle ansehen.«
Ich schaute den Jungen an. »Welche Höhle denn?«
»Aus ihr habe ich doch die Steine geholt - und die Knochen.«
Ich tätschelte seine Schulter. »Okay, Barney, ich werde sicherheitshalber gleich darauf zurückkommen.« Zuvor sollte mich Gilda Madson noch mit einigen Informationen füttern. Sie sah ziemlich blaß aus und machte auf mich einen sorgenvollen Eindruck.
»Wann ist Ihr Mann denn losgefahren?«
Sie runzelte die Stirn und schaute auf die Armbanduhr. »So genau kann ich das nicht sagen. Ich schätze, daß er schon zwei Stunden fort ist.« Sie schaute für einen Moment ins Leere. »Das ist eine relativ lange Zeit.«
»Das müssen Sie besser wissen als ich, denn ich kenne den Weg leider
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