0911 - In der Knochengruft
hatte den Eindruck, daß es nach den Ausdünstungen eines Menschen roch.. Vielleicht war hier jemand hergelaufen, der stark geschwitzt hatte, zumindest erinnerte mich der leicht säuerliche Geruch daran. Und ich erinnerte mich auch, wie oft ich schon durch Tunnels und finstere Gänge geschlichen war, immer wieder auf Überraschungen lauernd, die sich mir dann auch gezeigt hatten.
Sogar Tore zu anderen Dimensionen hatte ich in derartigen Stollen entdeckt. Ob das hier auch der Fall sein würde, mußte sich noch herausstellen.
Man verliert in der Dunkelheit sehr schnell das Gefühl für Zeit. Auch ich wußte nicht, wie lange ich gewartet hatte und die Atmosphäre in mich aufgesaugt hatte, bis ich die rechte Hand in die Tasche schob und die Lampe hervorholte.
Ich schaltete sie ein, und augenblicklich änderte sich einiges. Der Strahl schnitt wie ein grellweißes Messer durch die Dunkelheit und zerteilte sie. Ich erkannte, daß der Weg leicht bergab führte. Ich brauchte mich nicht zu ducken oder durch den Staub zu robben. Der Gang war hoch genug.
Der Strahl tanzte gespenstisch bleich durch die Finsternis. Ich suchte ein bestimmtes Ziel, war aber nicht in der Lage, es zu finden. Die Knochen ließen sich nicht blicken.
Wenn sie nicht zu mir kamen, würde ich zu ihnen gehen. Dem bleichen Lichtarm folgend bewegte ich mich tiefer in den Stollen hinein, in dem es sehr still war.
Daß mir kein Geräusch entgegendrang, hob meine Stimmung nicht eben. Jeder, der sich in diesem Stollen befand, hätte mich sehen und auch hören müssen. Ich bot mit meiner Lampe ein perfektes Ziel, aber es tat sich nichts. Nur meine eigenen, schleifenden Tritte waren zu hören, und manchmal zerknirschten kleinere Steine unter den Sohlen. Ansonsten blieb die Stille wie eine dumpfe Wand aus Watte.
Der Strahl hüpfte im Rhythmus meiner eigenen Bewegungen mit, und ich blieb plötzlich stehen, weil mich etwas irritiert hatte.
Es war ein Schatten auf dem Boden!
Schatten gab es hier genug, dieser aber hatte einen Umriß, und er lag auch nicht flach.
Mein Herz schlug schneller. Plötzlich lag kalter Schweiß auf meinem Nacken. Ich ging nicht mehr so langsam, rannte aber auch nicht, da ich mit einer Falle rechnete.
Schon wenige Schritte weiter wußte ich Bescheid. Der Schatten war kein von der Decke gefallener großer Stein, er hatte ja die Umrisse eines Menschen.
Dort lag ein Mensch!
Ich hielt den Atem an. Auch deshalb, weil sich dieser Mensch nicht bewegte. Er lag völlig starr, der Vergleich mit einem Toten schoß mir durch den Kopf, und ich hoffte, daß Barney mit seinen Befürchtungen nicht recht behielt.
Es dauerte nur Sekunden, bis ich den Schatten erreicht hatte und mich neben ihn kniete.
Ich hatte Frank Madson persönlich nie kennengelernt, wußte aber trotzdem, wie er aussah, denn im Wohnzimmer hatte ich ein Familienbild in einem Regal stehen sehen.
Vater, Mutter und der Junge.
Vor mir lag der Vater!
Verkrümmt, als hätte er sich gegen irgend etwas gewehrt und im letzten Augenblick noch diese Haltung eingenommen, die ihm so etwas wie Schutz geben sollte.
In meinem Brustkorb zog sich etwas zusammen, als ich den Mann vorsichtig berührte, meine Hand an seinem Hals entlanggleiten ließ und etwas erleichtert war, als ich das Zucken der Schlagader spürte. Er lebte noch! Aber er war verletzt.
Ich bekam einen trockenen Mund, als ich die Verletzungen sah, die man ihm zugefügt hatte. Dieser Mann war regelrecht niedergeknüppelt worden. Man hatte auf ihn eingeschlagen und keine Stelle an seinem Körper ausgelassen.
Nicht den Kopf, nicht das Gesicht, weder die Arme noch die Beine. Auch der Kopf war getroffen worden. Überall sah ich kleine Risse in der Haut, aus denen Blut gequollen war. Die Schläge hatten bei ihm auch Beulen und blaue Flecken hinterlassen.
Von Menschenhand stammten die Verletzungen bestimmt nicht. Ich wußte, wer sie ihm beigebracht hatte. Es waren die fliegenden Knochen gewesen, auch wenn ich diese im Moment nicht sah.
Auf keinen Fall konnte ich den Mann länger hier liegenlassen. Er mußte so rasch wie möglich in ärztliche Behandlung. Ich würde ihn aus der Höhle schleppen und in meinen Rover legen.
Bestimmt würde sich keiner der Knochen für immer und ewig zurückgezogen haben. Es mußte sie zwischen den Wänden geben, und sie hielten sich sicherlich in der Finsternis verborgen, wobei sie möglicherweise ihre auffällige rote Farbe verloren hatten.
Ich leuchtete über den Liegenden hinweg nach vorn. Der
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