0911 - In der Knochengruft
Junge war nicht bis zum Ende des Stollen durchgegangen. Er hatte sich nicht getraut. Ich aber wollte mich trauen, nur drängte es mich zunächst einmal, den Verletzten in Sicherheit zu bringen.
Ich drückte ihn in eine Rückenlage, um ihn auf meine Arme zu legen.
Das Anheben war kein Problem, doch ich kam nicht dazu. Etwas tat sich in diesem Stollen.
Es war noch nicht zu sehen, aber ich spürte es. In meiner Nähe hatte sich die Gefahr verdichtet.
Ich stand wieder auf.
Der Lampenstrahl leuchtete lichtintensiv in die Höhle hinein, wo er auch ein Ziel traf.
Es war eine Querwand, aber nicht nur sie, denn dort zeichnete sich etwas ab. Leider war ich zu weit weg, um es genau sehen zu können. Ich würde mir dieses Ziel bei meinem zweiten Versuch anschauen.
Oder?
Da brannte Licht!
Ich hatte es gesehen, als ich die Hand mit der Lampe bewegt hatte. Dieses Licht stammte nicht von einer Lampe. Es war einfach zu weich und zu natürlich.
Kerzenlicht!
Genau, etwas anderes kam nicht infrage. Jemand mußte ein Stück weiter vor mir Kerzen angezündet haben, sogar das sanfte Bewegen der Flammen fiel mir auf.
Trotz allem war der Verletzte wichtiger. Ich bückte mich wieder, um ihn anzuheben.
In diesem Augenblick fielen die Knochen über mich her!
***
Woher sie so plötzlich erschienen waren, hatte ich nicht mitbekommen. Jedenfalls waren sie da, und höchstwahrscheinlich hatten sie ihre Verstecke an oder in den lehmigen Wänden gefunden. Sobald sie sich zum Angriff entschlossen hatten, strahlten sie auf, und ich sah mich von roten Gebeinen umringt und bedrängt, die mich blitzschnell niederknüppelten. Wie viele es waren, wußte ich nicht.
Mit einem raschen Sprung hatte ich mich in eine erste trügerische Sicherheit gebracht und mich mit dem Rücken gegen die Wand gepreßt.
Wie ein feuriges Inferno bewegten sich die Gebeine vor meinen Augen. Die Knochen waren von einer unterschiedlichen Größe. Manche sehr kurz, andere wiederum lang, und ich entdeckte sogar alte Schädelteile oder Knochenköpfe, die nach mir hackten.
Ich wehrte mich.
Es war schon verrückt, daß in diesem Stollen ein Mensch stand, der sich durch Karateschläge die Knochen vom Leib hielt. Man ließ mir nicht die Zeit, die Waffe zu ziehen, und ich hätte gern erlebt, was geschah, wenn einer der Knochen von einer geweihten Silberkugel erwischt wurde.
Dafür wurde ich erwischt.
Sie waren so schnell, daß ich sie nicht abwehren konnte. Immer wieder versuchten sie es. Mein Gesicht war verschont geblieben. Dafür bohrten sich die Dinger in meinen Magen, hieben gegen die Schultern, trafen die Arme, und ich wußte, daß ich irgendwann den kürzeren zog, weil ich mit meiner Kraft am Ende war.
Blitzschnell ließ ich mich auf die Knie sinken, rollte über den Boden und hatte mit dieser Aktion die roten Knochen überrascht.
Über mir tanzten sie ihren makabren Reigen. Schädel, Rippenknochen, Arm- und Beinschienen, sie alle vereinigten sich zu diesem makabren Reigen, dem ich entwischen wollte.
Mein Kreuz mußte mir helfen.
Einige Schläge nahm ich hin, die meinen Brustkasten erwischten, auch mein Kinn malträtierten, gegen den Hals klatschten, mir auch einen Teil der Luft raubten, als wollten sie mich zum Ersticken bringen.
Das Kreuz war wichtig!
Ich riß es unter dem Hemd hervor, hielt es in der Hand und schwenkte es dann in einem Bogen über Kopf und Brust.
Schrie da jemand?
Bildete ich mir die Stimmen nur ein?
Durch meine Ohren jagte plötzlich ein Brausen und Sausen. Etwas puffte vor mir auf. Die Knochen schienen zu explodieren oder einfach nur zu verschwinden, so genau war es nicht zu sehen. Jedenfalls entstand aus diesen Gebeinen ein fürchterliches Monster in dunklen Farben mit einem riesigen Maul, das weit aufgerissen war. Dann jagte es den Weg zurück, den ich genommen hatte. Es wurde schneller und kleiner - und war nicht mehr zu sehen.
Weg, geflohen, vorbei…
Ich rappelte mich wieder hoch und dachte an Barney, den ich allein zurückgelassen hatte. Für mich war klar, daß dieses Knochengespenst die Flucht ergriffen hatte, weil die Kraft meines Kreuzes einfach zu stark gewesen war.
Gleichzeitig befand ich mich in der Zwickmühle. Ich wußte nicht, um wen ich mich zuerst kümmern sollte. Um den Vater oder den Sohn? Beide waren wichtig.
Ich entschied mich für den Sohn und jagte so rasch wie möglich den Weg wieder zurück…
***
Barney hatte sich eigentlich ins Gras setzen wollen, doch er lief auf und ab, immer wieder zum Eingang der
Weitere Kostenlose Bücher