0914 - Stygias Angriff
wusste niemand besser als Nicole selbst. Aber andererseits war es auch genau das, was sie so ärgerte: dass er es ihr nicht gesagt hatte. Er hatte nur um ihr Vertrauen gebeten und hatte sich, was seine Pläne anging, in geheimnisvolles Schweigen gehüllt.
Ich kann Rhett gut verstehen , dachte sie zornig, nachdem sie heimliche Zeugin des kurzen Gesprächs zwischen dem Erbfolger und Zamorra gewesen war. Ich hätte ihn auch weggeschickt. Aber an Zammys Stelle würde ich mich nicht wundern, wenn mich in meinem eigenen Schloss keiner mehr mit dem Hintern anguckt.
Sie wandte sich um und wollte sich schon in ihre Räume zurückziehen (am liebsten hätte sie ein paar Klamotten eingepackt und wäre in eines der Gästezimmer gezogen), als sie doch neugierig wurde. Was hatte Zamorra nur vor? Nicole konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Zamorra, der berühmt-berüchtigte Dämonenjäger, ernsthaft plante, den Satan anzurufen. Auch wenn der Zweck die Mittel noch so sehr heiligen mochte.
Sie ging wieder zum Fenster und starrte in den Hof hinab. Zamorra war konzentriert dabei, einen komplizierten Kreidekreis auf den Boden zu malen. William, der immer noch eine Tasche umgehängt hatte, in der sich, wie sie wusste, die Kräuter und Steine befanden, die für das Medikament benötigt wurden, stellte in regelmäßigen Abständen um den Kreidekreis Kerzen auf. Als er damit fertig war, begann er, die einzelnen Zutaten, Wacholder, Angelikakraut und Arnika - denn nichts anderes als diese profanen Kräuter hatten sich hinter den geheimnisvollen Namen des Rezepts verborgen - in einem Mörser zu zerstoßen.
Nicole runzelte die Stirn. Hatte Ihr Gefährte überhaupt einen Plan? Das hier sah ganz so aus, als habe der Professor nichts anderes im Sinn als die Arbeitsanweisungen, die er in dem Ratgeber für Drachen gefunden hatte.
Geduldig wartete Nicole, bis Zamorra mit dem Kreidekreis fertig war. Es war ein kompliziertes Muster, das er dort auf das relativ glatte Pflaster des Hofs gemalt hatte. Nicole kannte es nicht. Es sah aus wie ein Sigill, mit dem man normalerweise Dämonen rief, aber auf der anderen Seite ähnelte es keinem Sigill, das sie oder Zamorra je gesehen hatten - und das waren nicht wenige. Beide Dämonenjäger hatten im Laufe der Jahre immer wieder Dämonen beschworen und wussten sehr genau, was sie dabei zu tun und zu lassen hatten, und auch, welches Muster welchen Dämon rief.
Doch diese Zeichen waren Nicole unbekannt. Ein oder zwei Ecken schienen ihr bekannt vorzukommen - die beiden Schnörkel rechts oben haben entfernte Ähnlichkeit mit dem Sigill Stygias , dachte sie -, doch letztendlich war es ein Siegel, von dem sie keinen blassen Schimmer hatte, zu welchem Dämon es gehören mochte.
Und Zamorra will es wirklich darauf ankommen lassen! Na, soll dieser Holzkopf doch allein herausfinden, wer dahintersteckt! , sagte sie sich erbost und hatte für einen Moment diebischen Spaß daran, sich vorzustellen, wie die Fürstin selbst aus ihrem Thronsaal auf einmal hierher zitiert wurde. Aber halt, sie ist ja mittlerweile Ministerpräsidentin. Man stelle sich vor, wie angefressen sie da wäre. Sie würde knapp außerhalb der Schutzkuppel materialisieren, denn sie käme ja nicht hindurch. Aber der Höllenzwang, unter dem sie dann stünde, würde durch die Beschwörung nicht aufgehoben. Es wäre schon amüsant zu sehen, wie sich diese widerliche Dämonin in diesem Zwiespalt windet.
Nicole musste bei der Vorstellung einer von höheren Mächten gefangenen Stygia kichern. Doch als es einen Moment später plötzlich blitzte und donnerte, verging ihr das Lachen.
***
Es war an der Zeit.
Das war genau zu spüren. Zwar schien etwas die Beschwörung, den Zauber noch zu stören, aber das spielte für den gestaltlosen Dämon keine große Rolle. Die Störungen würden abklingen, außerdem gehörte er nicht zu denen, die sich von so etwas beeinflussen ließen. Und darüber hinaus hatte seine Herrin, die wunderbar Grausame, auch das angekündigt. Es war Teil ihres Plans. Der Gestaltlose wusste, er würde dadurch gestärkt. Was dort draußen geschah, schien nicht ganz richtig.
Doch der Dämon überlegte ruhig und sog die neu entstandene Kraft in sich auf. Er spürte, wie er an Stärke zunahm. Hier, mitten in der neutralmagischen Quelle, hatte er sich bis jetzt gegen die vielen verderblichen Einflüsse der weißen Magie dieses Ortes gut verstecken können und das Beste war, dass er genau hier erreichen konnte, dass die weiße Magie, die
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