0916 - Der Quellmeister und die Bestie
Hautfalten in der Nähe der durchsichtigen Kuppel fest. Kukelstuuhr ging zu Boden wie ein Gebäude. Der elastische Körper minderte die Wucht des Aufpralls. Andererseits war die lederne Haut so hart wie eine, Mauer. Der Quellmeister wurde kräftig geschüttelt und war eine Zeitlang wie benommen. Von irgendwoher hörte er einen fürchterlichen Schrei. Er hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern, woher er kam. Beim Sturz des Ungeheuers hatte sich die kuppelförmige Verkleidung auf dem Nacken Kukelstuuhrs gelöst. Ein Schwall warmer, übelriechender Flüssigkeit schoß unter der Kuppel hervor und hätte den Quellmeister. um ein Haar hinweggeschwemmt.
Aus dem Leib der Bestie, dem die Strahler der Techno-Spürer inzwischen Dutzende tiefer Wunden beigefügt hatten, war alles Leben gewichen. Pankha-Skrin ergriff die schlaff in sich zusammenfallende Hülle der Kuppel und schleuderte sie beiseite. Unter ihr fand er eine Höhlung, die mehr als einen Meter weit in Kukelstuuhrs Körper hineinreichte. Der Quellmeister begriff instinktiv: Murcon hatte seine substantielle Existenz nicht aufgeben wollen und dieses Monstrum erschaffen, um sich körperlich am Leben zu erhalten. Der verdickte Nervenstrang war, was der ehemalige Herr der Burg von sich übrig gelassen hatte. Pankha-Skrin beugte sich nach vorne und griff nach dem leuchtenden Gebilde. Er bekam es zu fassen und stellte zu seiner nicht geringen Überraschung fest, daß es aus einer künstlichen Masse bestand. Nichtsdestoweniger war es leicht aus dem Nerven- und Muskelsystem der Bestie zu lösen. Es scheint dazu gemacht, gleichzeitig ein Bestandteil dieses Systems und dennoch ein eigenständiges Gebilde zu sein.
Pankha-Skrin nahm sich ein paar Sekunden Zeit, seinen Fund zu betrachten. Was er in den Greiflappen hielt, war ein farbloser, elastischer Schlauch von etwas mehr als einem Meter Länge und einem Durchmesser von nicht mehr als 16 Zentimetern. Der Schlauch war zu zwei Dritteln mit einer zähflüssigen, honiggelben Masse gefüllt.
Die Enden des Schlauchs waren gerundet, und an einem von ihnen befand sich, im Innern, ein Gerät, dessen dem Betrachter zugewandte Seite das Aussehen eines Zifferblatts hatte. Auf gelbem Hintergrund wies eine rote Linie senkrecht nach oben - in eine Position, die für einen menschlichen Beobachter zwölf Uhr dargestellt hätte. Vor kurzer Zeit hatte die Linie begonnen, nach rechts zu wandern. Sie färbte dabei die Fläche, die sie bereits durchwandert hatte, blutig rot. Der Quellmeister konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß diese Uhr Aufschluß darüber gab, wie lange die Masse innerhalb des Schlauchs noch am Leben erhalten werden konnte.
Er nahm den durchsichtigen Schlauch auf - er ließ sich leicht um den Organkranz schlingen -und glitt an der Seite des reglosen Körpers der Bestie hinab. In der Nähe des linken Vorderbeins erreichte er den Boden der Halle. Er blickte zur Seite und machte eine sinnverwirrende Beobachtung.
Kukelstuuhr hatte im Todeskampf noch vermocht, einen der frevIerischen Angreifer seinem verdienten Schicksal zuzuführen. Er hing zwischen den hörnernen Hälften des riesigen Schnabels, den Körper halb zerquetscht.
Aber es war noch Leben in ihm. Pankha-Skrin, den leuchtenden Schlauch tragend, näherte sich dem Unglücklichen.
Es war Awustor. Er hatte seine Tollkühnheit auf bittere Weise gebüßt.
„Nicht wahr, du bist Arqualov?" fragte der Quellmeister.
Arqualovs Blick wandte sich müde der fremden Gestalt zu.
„Bist du der, der mich zweimal verscheucht hat?" wollte er wissen.
„Ich habe dich nie zu Gesicht bekommen", antwortete Pankha-Skrin „Aber da du von einer zweimaligen Begegnung redest, muß ich es wohl gewesen sein."
Arqualov, im Körper des Priesters Awustor, gab ein qualvolles Ächzen von sich.
„Irritt ...", stieß er hervor und versuchte, den Arm zu einer Geste zu erheben.
Mitten in der Bewegung ereilte ihn der Tod. Pankha-Skrin verstand zunächst nicht, was er gemeint hatte.
Dann aber blickte er an dem mächtigen Leib der Bestie empor und erinnerte sich, daß Murcon in seinem Bericht über die Geschichte der Burg von dem Urgeheuer Kukelstuuhr nie gesprochen hatte. In diesem Augenblick aber begriff der Quellmeister, daß Kukelstuuhr allein zu dem Zweck erschaffen worden war, dem mächtigen Murcon ein Überleben zu ermöglichen, und daß zur Belebung des Ungeheuers ein lebendes Bewußtsein erforderlich gewesen war: das der Freibeuterin Irritt, der Gefährtin Arqualovs.
Wahrhaft -
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