0916 - Feuerengel
sich mit einem so heftigen Ruck auf, daß Claire erschrak und von der Liege wegtrat.
Die Ärztin hatte zugeschaut. Sie eilte auf die Liege zu. Sie wollte dem Mann sagen, daß er sich wieder zurücklehnen müßte, aber das tat er nicht. Er blieb hocken. Sein Gesicht war verzerrt, er hob die Arme an und stierte dagegen.
»Mr. Davenport - bitte!«
»Nein!« brüllte er die Ärztin an. »Nein. Das Feuer in mir! Es lebt, verdammt noch mal, es lebt!«
Er riß die Arme hoch, um sie allen zu zeigen.
»Hören Sie auf!« schrie die Ärztin.
»Nein, nein! Es ist in mir! Das Feuer brennt weiter! Sie hat es mir gegeben! Es hört nicht auf, ich…«
Er verstummte, aber er schaute dabei so intensiv auf seine Hände, daß die Blicke wie eine Botschaft für die übrigen Personen wirkte, die ebenfalls gegen die ausgestreckten Arme und die Finger blickten.
Die Ärztin, Claire und auch die anderen Helfer kümmerten sich um nichts anderes mehr als nur um den Verletzten, der auf seiner Liege hockte und wie ein gräßlich, aber perfekt geschminkter Schauspieler wirkte. Keiner traute sich, nahe an ihn heranzugehen, es wurde sogar still, und deshalb war sein Flüstern besonders gut zu hören. »Das Feuer ist in mir. Es ist heiß. Es wird sogar noch heißer. Es wird lodern, brennen und auch verbrennen!« Er rollte mit den Augen. »Nichts rettet mich mehr, einfach gar nichts!«
So etwas hatten die Anwesenden noch nie erlebt. Selbst Claire nicht, die schon einiges in dieser Station gesehen hatte. Sie war die älteste, sie trug eine gewisse Verantwortung, und sie wollte die Tatsachen nicht so einfach hinnehmen.
Deshalb mußte sie etwas tun.
Sie beugte sich zu dem Verletzten hinunter. Mit ruhiger Stimme redete sie auf ihn ein. »Bitte, Mr. Davenport, bitte. Sie müssen jetzt die Nerven bewahren. Wir wollen Ihnen nur helfen, wirklich nur helfen. Es muß schnell gehen. Vielleicht können wir noch etwas retten, Mr. Davenport…«
Er schüttelte den Kopf.
Dann knurrte er.
Danach drehte er den Kopf.
Claire sah dies alles. Es war normal für sie und trotzdem war es unnormal. Sie kam mit der Lage nicht mehr zurecht. Aber sie hatte den Startschuß gegeben, und jetzt wollte sie auch bis zur Ziellinie aushalten.
Noch immer saß der Patient in einer gedrehten Haltung auf der Liege. Er starrte die Frau an. Sie sah seine Augen, und sie glaubte, in ihnen etwas Bestimmtes zu lesen.
Mitleid überkam sie. Dieser Mann litt. Sie wollte ihm helfen. Er mußte sich wieder hinlegen.
Freiwillig würde er es nicht tun, es bedurfte schon einer kleinen Nachhilfe, und so streckte sie die Arme aus, um ihn zu berühren und ihn nach hinten zu drücken.
Der erste Kontakt mit der Haut des Verletzten war entstanden. Leicht nur und trotzdem intensiv.
Claire war keine Person, die viel Angst zeigte. Hier aber durchströmte sie das Gefühl der Furcht, und es entlud sich in einem Schrei, der klirrend aus ihrem Mund drang. Das Zischen war darin untergegangen, aber es hatte seinen Grund gehabt, denn als sie den Schmerz an ihren Fingerkuppen der linken Hand spürte und nachschaute, da sah sie plötzlich, wie verbrannt die Haut war.
Eingeschrumpelt, rötlich, sogar leicht dunkel. Da kam einiges zusammen, und Claire konnte es nicht fassen.
»Da - da«, flüsterte sie, drehte die Hand und sorgte dafür, daß die Ärztin ihre beiden Fingerkuppen sah. »Schauen Sie sich das an. Ich, ich habe ihn nur berührt. Mein Gott, was ist das nur gewesen? Er ist heiß wie eine Herdplatte. Sie, Sie verbrennen sich die Finger, wenn Sie ihn anfassen. Wir müssen…«
»Bleiben Sie von ihm weg!«
Claire nickte. Sie ließ den rechten Arm sinken. Noch immer brannten die Kuppen des Zeige- und Ringfingers. Sie hätte sie am liebsten in ein Wasser getaucht, das aber traute sie sich nicht, denn ein Zwang sorgte dafür, daß sie immer nur auf diesen Verbrannten schaute, der weiterhin auf der Liege hockte.
»Feuer!« flüsterte er. »Feuer! - Es ist in mir, es ist so heiß. Es brennt durch. Es wird mich verbrennen. Es ist der Hauch der Hölle. Die Flammen des Teufels. Es ist einfach grauenhaft!« Er schüttelte sich und saugte den Atem ein.
Auch die Ärztin war ratlos. Dabei mußte sie sich innerhalb weniger Sekunden entscheiden, denn es ging nicht, daß sie den Verletzten seinem Schicksal überließen.
Etwas Unheimliches geschah. Aus dem offenen Mund drangen feine Rauchschwaden, grau und braun zugleich, die sich wolkenartig vor dem Gesicht verteilten. Sie verströmten einen schrecklichen
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