0916 - Feuerengel
bitten.« Ich schaute erst in den Flur, ob die Luft rein war.
Dann sagte ich: »Bitte, behalten Sie unsere Unterhaltung für sich. Zu keinem ein Wort, auch nicht zu Dr. McLintock.«
»Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Sinclair. Man würde mich hier auslachen und mich fragen, ob ich verrückt bin.«
»Das denke ich auch.« Ein kurzer Gruß noch, dann war ich aus dem Zimmer, blieb im Flur stehen und atmete zunächst einmal tief durch. Jetzt konnte kommen, wer oder was wollte und versuchen, an irgendwelchen Dingen zu drehen, aber es ließ sich nicht ändern. Ich war mal wieder auf einen Fall gestoßen und fühlte mich wie ein Stück Eisen, das von einem Magneten angezogen wurde. Ich wollte einfach nicht glauben, daß jeder gelogen oder sich etwas eingebildet hatte. Schließlich war die Person Betty auch von mir gesehen worden.
Wenn alles zutraf, hatte ich eine lebende Tote gesehen, auch wenn sie mir nicht so vorgekommen war. Aber sie mußte tot sein, sie war ihren Brandwunden erlegen.
Brandwunden - ausgerechnet!
Ich verzog die Lippen, als ich daran dachte. Unter dem hellen Kittel hatte sich bestimmt alles andere verborgen, als ein mit Brandwunden bedeckter Körper. Aber ich mußte den Aussagen der Fachleute einfach trauen. Da gab es keine andere Alternative.
Meinen Vater wollte ich zu diesem Zeitpunkt nicht besuchen. Er hätte mich bestimmt durch seine Fragen aufgehalten, die unseren letzten Fall betrafen, und das konnte ich mir nicht leisten.
Wichtig war für mich diese Schwester Claire, die ich bereits kannte. Ich hatte sie als sehr energische Person eingeschätzt. Sie war eine kompetente Frau, die sich auf ihrem Gebiet sicherlich auskannte.
Derartige Mitarbeiter brauchte man, und im Lift nach unten irrten meine Gedanken wieder ab, denn die schöne Betty wollte mir nicht aus dem Kopf. Warum hatte sie sich ausgerechnet in der Etage herumgetrieben, auf der mein alter Herr lag? Zufall oder Absicht?
Wenn ich über den Begriff Absicht nachdachte, rann es mir kalt den Rücken hinab. Dann wurde mir mehr als komisch, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß mein Vater irgendeinen Kontakt zu dieser Person gehabt hätte.
Der Aufzug stoppte im Eingangsbereich. Ich verließ die Kabine und stellte fest, daß die Leere hier unten verschwunden war. Um diese Zeit herrschte bereits mehr Betrieb. Besucher kamen, an der Rezeption wurden Fragen gestellt, und einmal sah ich sogar Claire durch den Gang hasten. In ihrem gelben Kostüm leuchtete sie wie ein Fanal. Sie redete dabei auf zwei Personen ein, die sie begleiteten.
Ich konnte sie jetzt nicht stören, näherte mich aber dem Büro von der Gangseite her. Die Tür war nicht geschlossen. Ich schaute in den Raum, in dem Claire nicht allein arbeitete, denn ein junger Mann hockte vor einem Computer und schaute mit gerunzelter Stirn auf den Bildschirm, als würde er die Welt nicht mehr verstehen.
Als ich im nachhinein klopfte, schrak er zusammen und drehte den Kopf nach links.
»Hallo«, sagte ich.
»Was wollen Sie?«
»Mit Schwester Claire reden.«
»Sie ist nicht hier.«
»Das sehe ich. Wissen Sie, wann sie zurückkommt?«
Der Knabe lehnte sich nach hinten und bog den Rücken durch. »Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Er schob sich einen Kaugummi zwischen die Zähne.
»Wo kann ich Sie finden?«
»In der Notaufnahme, aber da dürfen Sie nicht hin.«
»Das dachte ich mir. Dauert es länger?«
Er zeigte plötzlich Interesse. »Was wollen Sie denn überhaupt von ihr?«
»Nur reden.«
»Dann warten Sie?«
Ich ging darauf nicht ein. »Wie komme ich zu dieser Notaufnahme?«
»Sie dürfen da nicht hin, Mann!«
Ich zeigte ihm meinen Ausweis, der ihn wenig beeindruckte. Er gehörte sowieso zu den coolen Knaben, die so cool waren, daß ihr Hirn beinahe einfror.
»Na und?«
»Ich will nicht hinein, ich möchte nur, daß Sie mir den Weg erklären, okay?«
»Ja, verstanden.« Das Telefon summte. Er wollte mich loswerden und erklärte mir mit drei, vier Worten, wie ich zu gehen hatte. Als er abhob, bedankte ich mich und war wenig später verschwunden.
Der Weg war nicht weit. Ich fand den Flur schnell, zudem wies mich auch ein Schild darauf hin.
Und dann passierte es.
Die Schreie konnten mich nur aus der Notaufnahme erreicht haben. Sie waren schrill und angsterfüllt, und mir war klar, daß dort etwas passiert sein mußte.
Ich stürmte los.
Sehr weit brauchte ich dabei nicht zu laufen. Was immer sich in der Notaufnahme abgespielt hatte, es war nicht mehr dort
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