092 - Der Herr des Schreckens
hatten, beeilten sich, nach oben zu kommen. Hastig stolperten sie die glitschigen Stufen empor.
Es war nicht ungefährlich, die unterirdischen Grüfte aufzusuchen. Hier lauerten Kreaturen jenseits allen menschlichen Vorstellungsvermögens, und manchmal forderten sie ein Opfer, wie eben den unglücklichen Lama.
Eine Welle widerlichen Gestanks flutete aus dem dunklen Stollen. Höhnisches Kichern ertönte.
Die Schwarzen Lamas entfernten sich nach oben. Im Stollen hielt ein unbeschreibliches, monströses Geschöpf sein grauenhaftes Mahl.
Wie jeden Morgen um 7.30 Uhr saß Professor Mathieu Dulac mit seiner Frau am Frühstückstisch. Seine Tochter hatte das Haus bereits verlassen. Professor Dulac war ein zierlicher, äußerst lebhafter Herr mit frischem Gesicht und einem kleinen, gezwirbelten Schnurrbart.
Etwas Eigelb fiel auf die graue Weste des Professors. Sofort sprang er auf.
„Mondieu, habe ich dir denn nicht schon hundertmal gesagt, ich will mein Frühstücksei nur halb weich? Sieh dir diese Schmiererei an, Yvonne. Ich könnte aus der Haut fahren. Dieser Ärger schon am frühen Morgen.“
Professor Dulac gestikulierte heftig. Yvonne, seine ruhige geduldige Frau, kam mit einem Tuch und Fleckenwasser. Sie reinigte die Weste ihres aufgeregten Mannes, der mehrmals auf seine altmodische Taschenuhr schaute. Er war nervös und ständig in Bewegung.
Er steckte sich eine Zigarette an.
„Mathieu, du sollst so früh nicht rauchen“, sagte seine Frau vorwurfsvoll.
„Nach der Aufregung brauche ich die Zigarette, verstehst du?“
„Der Doktor hat gesagt…“
„Pah, dieser Quacksalber! Meinst du, ich lasse mir von so einem Kurpfuscher Vorschriften machen? Beeil dich jetzt, ich muß gleich weg.“
In diesem Augenblick klingelte es draußen. Die etwas rundliche Frau Dulac ging zur Tür. Professor Dulac besaß ein schönes altes Haus in der Rue de la Durance im Pariser Stadtteil Dugommier. Professor Dulac nahm einen Schluck Kaffee und rauchte ein paar Züge von seiner Zigarette. Er schaute zum Fenster hinaus auf die Straße.
Seine Frau kam zurück.
„Ein Monsieur Taschmosch ist draußen, Mathieu. Er kommt von weither, aus Tibet, und er sagt, er müsse dich dringend sprechen.“
Professor Dulac sah auf die Armbanduhr.
„Ich muß gleich gehen. Was mag der Mann wollen? Aus Tibet, sagst du? Nun, eigentlich habe ich keine Zeit, aber … hm, hm.“
Die Neugier siegte. Professor Dulac bat den Besucher in die Bibliothek. Taschmosch, ein junger Tibetaner. Mitte Zwanzig, der einen unauffälligen, hellbeigen Straßenanzug trug, begrüßte Dulac sehr freundlich. Er stellte sich vor, sein Französisch war recht gut.
Dulac kam gleich zur Sache.
„Ich habe wenig Zeit, Monsieur Taschmosch. Was führt Sie zu mir?“
„Ihr Ruf ist weit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt, Professor Dulac. Sie sind Psychologe, Experte für Verhaltensforschung, Massensuggestion und Massenpsychologie.“
„Ich weiß selbst, was ich bin. Zur Sache, Monsieur. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber meine Zeit ist morgens äußerst knapp bemessen. Also, Monsieur?“
„Sie haben aufsehenerregende Abhandlungen veröffentlicht“, fuhr Taschmosch fort, der dem Professor an einem Lesetischchen gegenüber saß. Man ist an Ihren Arbeiten sehr interessiert, und ich bin beauftragt, Sie für einige Zeit zu engagieren – zu sehr interessanten Bedingungen übrigens.“
„Ich bin kein stellungsloser Artist, den man engagieren kann. Wer ist übrigens ‚man’, Monsieur?“
Taschmosch lächelte unergründlich, seine schrägen Augen fixierten Dulac.
„Ein Freund der Wissenschaft“, antwortete er. „Was würden Sie zu hunderttausend Neuen Francs pro Monat sagen?“
„Ausgezeichnet, würde ich sagen. Doch es kommt darauf an, was ich dafür tun soll?“
„Sie sollen in Ihrem Fachgebiet arbeiten und einige Forschungen für meinen Auftraggeber anstellen. Ihre Spesen für die betreffende Zeit werden Ihnen selbstverständlich alle vergütet.“
„Wer ist Ihr Auftraggeber? Und wohin müßte ich gehen, um für ihn zu arbeiten?“
„Der Name meines Auftraggebers würde Ihnen nichts sagen, Professor. Ihre Forschungen müßten in Tibet an einem streng geheimgehaltenen Ort stattfinden. Natürlich müßten Sie meinem Arbeitgeber auch Ihre früheren Arbeiten zugänglich machen.“
„Natürlich.“ Professor Dulac erhob sich abrupt. „Monsieur, Sie entschuldigen mich jetzt, ich muß gehen. Was Ihren Vorschlag betrifft, so können
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