092 - Der Herr des Schreckens
ging nun unendlich viele feuchte und glitschige Stufen hinab. Von den steinernen Wänden tropfte Wasser. Ab und zu zweigten Seitengänge und Stollen ab. Die Luft war modrig und feucht.
Endlich weitete sich der Gang zu einer Höhle, die von einem grünlichen Licht erfüllt war. Die dreihundert Schwarzen Lamas fanden knapp Platz in der Höhle. In die Felswände waren uralte Symbole und Reliefs gemeißelt, die keiner bekannten Kultur entstammten. Diese Höhle hatte schon bestanden, als Babylon gegründet wurde, und hatte schaurige blutige Rituale erlebt.
Unheil und Grauen nisteten in den dunklen Ecken. Auch hier zweigten Gänge und Nebenhöhlen ab. In einem Stollen wimmerte und klagte es, und in einem anderen ertönte ein widerliches Schmatzen, ein Grunzen und Rumoren. Die Schwarzen Lamas vermieden es, in die Nähe jenes Stollens zu kommen.
Chandar-Chan trat zu einem gläsernen Sarg, der neben einer Wandnische stand, die wie das Maul einer überlebensgroßen in die Wand eingehauenen Dämonenfratze aussah. In dem gläsernen Sarg lag ein zierlich wirkender, bleicher Mann mit schwarzem, altertümlichem Gewand. Seine dünnen Lippen waren zu einem höhnischen Lächeln verzogen, die Hände über der Brust gefaltet.
In der dunklen Nische hockte ein riesiges, plumpes Geschöpf. Der Schein der Fackel Chandar-Chans flackerte über ein graues Gesicht, das wie aus grobem Holz gehauen war. Es erinnerte an die Physiognomie eines Neandertalers.
Auf ein Zeichen Chandar-Chans begannen die Schwarzen Lamas einen dumpfen Singsang. Einer schlug einen ehernen, uralten Gong, der an der Wand angebracht war. Laut dröhnte sein Schall durch die unterirdischen Gänge.
Chandar-Chan sprach uralte Worte und Beschwörungen, die schon Grauen hervorgerufen hatten, ehe die Pyramiden entstanden. In schneller Reihenfolge malte er Zeichen und Figuren in die Luft.
Der Golem, jenes riesige, plumpe, graue Geschöpf in der Nische, stieß ein wildes Brüllen aus und erhob sich. Der bleiche Lönchen mit dem spöttischen Gesicht schlug in seinem gläsernen Sarg die Augen auf. Er öffnete den Sargdeckel, stieg heraus und verbeugte sich ironisch vor Chandar-Chan.
„Wir stehen Ihnen zu Diensten, Meister. Wozu haben Sie uns diesmal wieder erweckt? Was darf es sein? Ein Mord, ein besonders grausiges Blutritual, oder gilt es nur, einem Abtrünnigen die Zunge herauszureißen? Alles ist besser als diese widerliche Totenstarre bei vollem Bewußtsein.“
Der Lönchen sprach mit wohlklingender Stimme. Ein spöttischer Unterton schwang darin mit. Chandar-Chan runzelte die Brauen.
„Ich vertrage Spott ebenso wenig wie mein Vorgänger, der dreiundzwanzigste Chandar-Chan, der dich zur Strafe für deine Frechheiten zum Untoten machte, Lönchen. Hüte deine Zunge, sonst wirst du es bereuen.“
Der Lönchen nahm eine gerade, aufrechte Haltung an. Der Golem knurrte wie ein Hund.
„Was sollen wir tun, Meister?“ fragte das graue Ungeheuer.
„Ihr sollt einen Mann in einem fernen Land in meine Gewalt bringen. Taschmosch, einer meiner engsten Vertrauten, wird euch anleiten. Weiteres erfahrt ihr in meinen Räumen oben. Folgt mir.“
Ein noch junger Angehöriger der Schwarzen Lamas eilte zu Chandar-Chan. Er verbeugte sich tief, die Hände vor der Brust.
„Ich werde mich eures Vertrauens würdig erweisen, Chandar-Chan. Es ist mir eine Ehre, daß eure Wahl, diesen wichtigen und bedeutsamen Auftrag auszuführen, auf mich gefallen ist.“
Chandar-Chan winkte ab.
„Es ist gut, Taschmosch. Gehen wir nach oben.“
Immer noch erfüllte der dumpfe Singsang der Lamas die Höhle. Chandar-Chan stieg die endlose Treppe hinauf, gefolgt vom jungen Taschmosch und den beiden wieder erweckten Untoten, dem Golem und dem Lönchen. Hinter ihnen kamen die Schwarzen Lamas.
Als einer der letzten an dem Stolleneingang vorbeiging, dessen Nähe von allen gemieden wurde, kroch daraus ein schleimiges, unförmiges Tier. Der Lama schrie auf, die Augen quollen ihm aus den Höhlen vor Entsetzen. Unaufhaltsam zerrte die Bestie ihn auf die Stollenöffnung zu.
„Helft mir!“ schrie der kahlköpfige, schwarzgekleidete Mann. „So helft mir doch!“
Seine Schreie hatten nichts Menschliches mehr, als er in dem dunklen Stollen verschwand. Ein widerliches Schaben und Schmatzen war zu hören, und der Schwarze Lama brüllte wie am Spieß.
„Aaaaaaaahhhhh!“
Knochen krachten und der Schrei ging in ein Röcheln über, das plötzlich endete. Die Schwarzen Lamas, die nun alle die Treppe erreicht
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