0923 - Die Henkerin
einen Teil ihres Plans durchschaut hatte und sie ihm praktisch in die Falle gelaufen war.
Carlotta stand unbeweglich. Den Kopf hatte sie leicht nach hinten gedrückt. Das Blut ihres Mannes roch sie nach wie vor und glaubte auch, es zu schmecken.
Oder war es ihr Blut? Hatte sie sich nicht vor Schreck auf die Zunge gebissen?
Die Henkerin kam nicht mehr zurecht. Die Furcht legte sich wie ein Nebel auf ihre Gedankenwelt und drückte sie immer mehr zusammen. Kälte und Hitze strömten in ihren Körper, wo sie sich verteilten. Wieder hörte sie ihr eigenes Herz überlaut schlagen. Die Echos glichen denen von Hammerschlägen, die immer wieder gegen die Rippen pulsierten. Auch hatte sie Mühe, normal stehenzubleiben. Das Zittern war einfach zu stark geworden, und hinter den Augen spürte sie einen gewissen Druck.
Die Gestalt des Godwin de Salier war nicht genau zu erkennen. Er stand noch so, daß der Schatten der Mauer ihn verschleierte. Der Mann schien daran festzukleben, und aus dem Dunkel hörte sie auch seine zischelnde Frage. »Was hast du mit Alfonso getan, du Teufelsweib?«
Reiß dich zusammen, dachte sie.
Reiß dich nur zusammen, dann laufen die Dinge wie von allein. Ich habe etwas getan, aber er weiß es nicht. Also kann ich der Antwort noch entgehen. Das wird alles klappen, da bin ich mir sicher.
»Nichts habe ich getan. Gar nichts.«
»Und was wolltest du dann von mir?«
Sie lächelte, denn sie dachte daran, daß er ihre Waffe noch nicht entdeckt hatte. Carlotta hatte sie auch fest gegen den Stoff an ihrem rechten Bein gedrückt.
»Von dir?« fragte sie und lächelte katzenhaft. »Was soll eine Frau schon von einem Mann wollen, wenn sie in der Nacht zu ihm ins Zimmer geht? Muß ich es dir sagen?«
»Nein, das brauchst du nicht. Ich weiß Bescheid. Auch Alfonso wußte Bescheid und hat mich deshalb gewarnt.«
»Was wußte er?«
»Daß du treulos bist.«
»Ach ja?«
»Stimmt es, oder stimmt es nicht?«
Carlotta gab noch keine Antwort. Sie spürte, daß an ihrem Hals entlang ein Blutstropfen seine Bahn zog und im Stoff ihrer Kleidung versickerte.
»Nimm die Waffe weg, dann werde ich dir Antwort geben.«
»Nein!«
Die Henkerin schnaufte durch die Nase. »Gut, wenn du es unbedingt wissen willst, ja, ich bin treulos. Ich habe eben etwas in meinem Blut, gegen das ich nicht ankann. Mein Mann hat es nicht gewußt, und ich habe einen Fehler begangen, als ich ihn heiratete. Ich hatte mir alles so wunderbar vorgestellt, doch jetzt ist es vorbei. Es ist alles gelaufen. Mein Mann ist ein Idiot, er ist ein Schwächling. Er hat es einfach nicht gebracht, eine Frau wie mich zu halten. Kannst du das nicht verstehen? Mein Blut kochte, und es kocht auch jetzt, por dios!«
»Das weiß ich, denn ich habe es an deinen Blicken erkannt. So wie du Männer angeschaut hast, machen es keine normalen Frauen, sondern Hexen. Ja, Hexen! Du bist eine Hexe, nicht nur dein Blut ist voll mit der wilden, ungezügelten Leidenschaft, du bist genau jemand, der auch dem Bösen sehr zugetan ist.«
Carlotta lachte. »Das stimmt genau. Dem Bösen zugetan. Ja, das bin ich, Amigo.«
»Ich dachte es mir. Und dein Mann hat es sich auch gedacht. Allein kam er gegen dich nicht an, deshalb rief er mich zu Hilfe. Ich wußte, daß du kommen würdest, ich habe es genau gespürt, und deshalb wollte ich auch nicht in meinem Bett liegen, sondern dich überraschen. Und das ist mir wohl gelungen.«
»Es stimmt.« Sie streckte den linken Arm aus. »Aber mußt du mich deshalb bedrohen?«
»Ich bedrohe dich, solange, wie ich es für möglich halte, verdammte Hure!«
»Dagegen kann ich dann wohl nichts machen - oder?«
»Nein, das kannst du nicht.«
»Und was willst du jetzt tun?«
»Das ist ganz einfach. Wir werden zu meinem Freund und deinem Mann gehen, und dort reden wir weiter. Du wirst ihm das sagen, was du auch mir gesagt hast, nur etwas genauer, denn er hat einfach das Recht, alles zu wissen, wenn du verstehst.«
»Aber er schläft.«
»Dann werden wir ihn wecken.«
Carlotta schielte auf die Klinge, die sie wie einen schimmernden Schatten sah. Dann bewegte sie leicht ihren Kopf. Ein Zeichen, daß sie damit einverstanden war.
»Dreh dich um!« befahl er.
»Was geschieht dann?«
»Dreh dich erst mal um!«
»Aber die Spitze…«
»Ich werde sie wegnehmen.«
Der Bretone hielt sein Versprechen, er zog seine Stichwaffe zurück und Carlotta drehte sich. Aber die tat es so, daß er ihre Waffe nicht entdecken konnte. Die Klinge wurde noch
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