0924 - Lockruf der Psychode
Margor blickte hinter sich und sah undeutlich, wie Arzachenas schmächtige Gestalt im sandigen Untergrund einsank. Margor warf sich instinktiv zu Boden und griff nach der Hand des Prospektors. Er bekam sie zu fassen und zog den leichtgewichtigen Alten heraus. Erst da wurde ihm bewußt, daß er zur Rettung eines Paratenders seine eigene Sicherheit aufs Spiel gesetzt hatte. Das war bisher noch nie der Fall gewesen, und Margor kam aus dem Staunen über diese Reflexhandlung nicht heraus.
„Danke", sagte Arzachena. Margor schnitt nur eine verächtliche Grimasse. Als Hotrenor-Taak dann meldete, daß er die Zwotter aus den Augen verloren hatte, bedachte Margor Pyon Arzachena mit einem Fluch. „Die Psychode müssen hier irgendwo sein!" schrie Hotrenor-Taak, um das Heulen des Sturmes zu übertönen. „Wenn die Sicht erst besser geworden ist, können wir mit der gezielten Suche beginnen."
„Wenn die Zwotter die Psychode vorher nicht fortgeschafft haben!"
Margor war außer sich. Er wußte, daß sich die Zwotter als Verwalter der Kulturzeugnisse ihrer Vorfahren sahen. Vielleicht verstellten sie sich nur und konnten den Wert der Psychode sehr wohl erkennen. Wenn sie nun die Duplikate nur anfertigten, um die Originale vor fremdem Zugriff zu schützen? Was wußte er denn schon wirklich über die Zwotter? Er war bei ihnen aufgewachsen, hatte die ersten sechs Jahre bei ihnen verbracht, aber er hatte an diese Zeit fast keine Erinnerung. Für ihn waren die Zwotter bisher nur harmlose, dienstbare Geister gewesen, ohne eigenständige Kultur und ohne zivilisatorische Errungenschaften. Was sie an Technik besaßen, hatten sie von den Vincranern, den Provconer-Laren oder den Gäanern übernommen - oder ihnen nachgebaut.
Gota meldete sich über Sprechfunk. „Wir sind zu den Wagen gestoßen und folgen euch, Boyt!"
Margor gab keine Antwort. In dieser Situation mußten die Paratender selbst wissen, was sie zu tun hatten. In seiner Angst um die Psychode war er ohnehin nicht in der Lage, taktische Maßnahmen zu ergreifen.
Margor peilte Schneeflocke an. Der Kristallroboter war irgendwo links von ihnen - einige hundert Meter entfernt. „Da ist eine Höhle!" erklang Hotrenor-Taaks Stimme aus dem goldenen Nebel, der so grell leuchtete, daß Margor geblendet die Augen zukneifen mußte. „Und da ist Generizza. Oder bist du Organizz?"
Ein verhaltener Gesang war die Antwort. „Was ist passiert, Organizz?" erkundigte sich der Lare. Margor kam dem Ursprung seiner Stimme rasch näher. Der goldene Nebel lichtete sich. „Bei der Urquelle, wie siehst du aus!"
Margor erreichte den Laren und entdeckte am Eingang einer Höhle eine zusammengekauerte Gestalt. Das war ein Zwotter, aber sein Körper war seltsam aufgedunsen, seine ehemals zerfurchte, lederartige Haut spannte sich über Schwellungen und war an diesen Stellen glatt und glänzend. „Wo sind die Psychode?" schrie Margor ihn an. Als der Zwotter nicht sogleich antwortete, ließ der Gäa-Mutant der aufgestauten Wut freien Lauf und entlud sie gegen den Zwotter. Erst zu spät wurde er sich bewußt, daß dies gleichbedeutend mit der Entladung der in ihm gespeicherten PSI-Energien war. Es war eine Reflexhandlung, und er bereute sie sofort wieder. Aber das rettete den Zwotter nicht mehr. Sein Körper begann unter der Kraft der auf ihn überströmenden psionischen Energie zu schrumpfen.
Margor verfolgte die einzelnen Phasen dieses Prozesses genau mit, und dabei eröffneten sich ihm Details, die ihn verblüfften. Er entdeckte an dem sterbenden Zwotter verschiedene Merkmale, die auf ein weibliches Geschlecht hinwiesen.
Organizz war demnach kein Mann, sondern ein weiblicher Zwotter. Und die Wölbung an seiner Körpermitte, an der der Schrumpfungsprozeß mit Verzögerung vor sich ging, war zweifellos ein Attribut fortgeschrittener Schwangerschaft.
Organizz war eine Zwotterfrau! Oder war er erst zu einer Frau geworden? Schon Virna Marloy hatte angenommen, daß die Zwotter androgyn seien, also Mann und Frau in einem, und daß sie in der Öffentlichkeit nur als Männer auftraten und sich während der Geschlechtsumwandlung in das subplanetare Höhlensystem zurückzogen.
Es war im Moment nicht wichtig, ob es sich so verhielt, und Organizz konnte dieses Rätsel auch nicht mehr lösen. Er war tot. Er war zu einem mumifizierten Etwas von humanoider Form geworden. „Er kann uns nicht mehr helfen", sagte Hotrenor-Taak, ohne besondere Regung. Es stand ihm nicht zu, Margors Handlungsweise zu kritisieren.
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