0926 - Preis der Macht
uralte Villa zu erkunden. Hier unten gab es Gebäude aus mehr als 2.000 Jahren Menschheitsgeschichte. Diese ganz spezielle Villa hier hatte sich von der Zeit nicht im geringsten beeindrucken lassen. In ihrem Inneren schlug Morano die ganze Pracht und der Prunk einer vergangenen Epoche entgegen. Die Böden waren mit den feinsten Mosaiken verschönert, Wände und Decke waren mit farbenprächtigen Kacheln besetzt, die, wenn man sie nur ein wenig reinigen würde, sicher wieder in alter Schönheit erstrahlten.
Morano lächelte und konzentrierte sich auf den Machtkristall. Es war so einfach… ein blauer Dunst verteilte sich im gesamten Haus, setzte sich überall fest, in jeder Spalte und jeder Fuge. Dann löste sich der feine Hauch auf und hinterließ nichts als Glanz. Staub und Patina waren wie weggefegt.
Ein so mächtiges Instrument als Putzmittel - warum eigentlich nicht?
Morano war zufrieden mit dem Ergebnis. Doch bereits im nächsten Raum blieb er wie angewurzelt stehen. Das hier mochte vor nahezu zwei Jahrtausenden das private Gemach der Hausherrin gewesen sein. Es gab jetzt natürlich keine Einrichtungsgegenstände mehr, doch da war ein Indiz, das untrüglich schien: In einen Teil der hinteren Wand war ein großer Spiegel eingelassen, dessen Umrandung kunstvoll verziert war. Auch er war erstaunlich gut erhalten. Tan Morano lächelte - irgendwo fühlte er eine geistige Verbundenheit zu der Frau, die hier vor so langer Zeit ihrer Eitelkeit gefrönt hatte. Der Spiegel reichte vom Boden bis fast zu Decke hoch. Tan Morano trat nah an die silbrige Fläche heran.
Oh ja, er hatte eine lange Zeit benötigt, um den Makel des fehlenden Spiegelbildes bei einem Vampir auszumerzen. Es war ihm immerhin so gut gelungen, um ein leicht verschwommenes Ebenbild seiner selbst sehen zu können. Das war ein großer Erfolg, der Morano allerdings nie so richtig zufriedengestellt hatte.
Er drehte den Dhyarra zwischen den Fingern seiner rechten Hand hin und her. Noch war dieses magische Wundermittel von Morano nicht vollkommen beherrschbar. Vielleicht würde das sogar nie der Fall sein, er wusste es nicht. Also wagte er es natürlich nicht, mittels des Sternensteins Manipulationen an sich selbst vorzunehmen. Deren hätte es aber bedurft, um seinen Blick zu schärfen, damit der ein effektives Bild seiner selbst in einem Spiegel sichtbar machen konnte. Nein, dieses Wagnis wollte Morano noch nicht eingehen.
Doch es ging sicher auch anders - Morano hob den Dhyarra in die Höhe und hielt ihn dicht vor den Spiegel. »Zeige zumindest du mir in Zukunft, was ich schon seit ewigen Zeiten zu erblicken ersehne.« Beinahe klangen diese Worte wie eine Beschwörungsformel, wie ein Zauberspruch aus alten Legenden. Der Vampir musste sich nicht sonderlich bemühen, um diesen Wunsch intensiv zu formulieren, denn er war tief in ihm verankert.
Morano machte einen Schritt nach hinten, als sich die Oberfläche des Spiegels zu verändern begann, ganz so, als würde eine graue Folie von ihm gezogen werden. Minuten vergingen, in denen Tan Morano sich nicht bewegte. Nichts um ihn herum nahm er mehr war. Da war nur noch das Bild im Spiegel… nur noch er!
Morano musste sich mit Gewalt zwingen, sich von seinem wahren Spiegelbild abzuwenden. Wie hatten die Menschen ihn genannt? Einen Gecken? Einen eitlen Pfau? Einen, der mehr Wert auf sein Erscheinungsbild legte, als auf alles andere? Nun, vielleicht hatten sie ja recht, doch sie würden schon bald zu spüren bekommen, dass Tan Morano nun endgültig erwacht war. Er hob den Kristall dicht vor seine Augen. Er hatte ihn aufgeweckt.
Noch einmal blickte Morano in den Spiegel, der ihm ein makelloses Gesicht, eine definierte Figur, ein völlig perfektes Äußeres zeigte. Ein Pfau also? Gut, doch ein Pfau schlug sein so bewundertes Rad nur dann, wenn er Feinde abschrecken, also sein Macht demonstrieren wollte.
Und diese Macht floss von Sekunde zu Sekunde schneller in Moranos Bewusstsein, wurde dort zu einem reißenden Strom, um ihn am Ende vollkommen auszufüllen.
Nicht mehr lange, dann würden alle realisieren, wie grausam ein Pfau herrschen konnte!
***
Professor Zamorra fühlte, wie ihn seine Emotionen zu überwältigen drohten.
Leise verließ er den Raum, in dem gut ein Dutzend Kinder fröhlich miteinander spielten - trotz Sprachbarrieren ließen sie sich das nicht nehmen. Was Erwachsenen kaum möglich war, das lebten diese Kinder ganz einfach: Kommunikation - und sei es auch mit Hilfe von Händen und
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