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0927 - Nacht über GALAHAD

0927 - Nacht über GALAHAD

Titel: 0927 - Nacht über GALAHAD Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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musste an eine Klarsichtfolie denken, die über eine Fotografie gelegt wurde - malte man etwas auf die Folie, sah es zwar aus, als gehöre es zum Bild. Aber der Eindruck täuschte. Hier kam es ihm ganz ähnlich vor.
    Der Wind nahm zu, peitschte das Wasser auf. Wellen schlugen gegen die Stahlträger, die die Insel im Firth hielten, und wurden immer höher und größer. Fordernder.
    »Gleich ist es soweit«, sagte Julian Morrow über das zunehmende Rauschen der Luft hinweg und nickte den beiden Angestellten zu, die hinter ihm standen und eine gewaltige Vorrichtung hielten, die aussah, als sei sie eine Mischung aus einem überdimensionierten Gartengerät und einem Sandstrahler. »Barksdale, Morris, macht euch bereit.«
    »Warum tun Sie das?«, fragte Zamorra die beiden. »Warum helfen Sie ihm bei seinem wahnsinnigen Plan?«
    »Weil ich Ihnen gesagt habe, dass ich sie töten werde, wenn nicht.« Morrows Haar wehte ihm ins Gesicht, und die Seiten seines Tweed-Jacketts flatterten fröhlich im Wind. »Eine ihrer Kollegen fiel bereits dem Nebel zum Opfer, von daher wissen sie, was das bedeutet.«
    »Aber was Sie hier tun, bedeutet ohnehin unser aller Tod, Morrow!«
    »Nicht, wenn ich bei der Durchführung meiner Absichten nicht behindert werde!«, behauptete der Physiker entschieden. »Glauben Sie mir, ich habe alles genau durchdacht. Es besteht kein Grund zur Sorge - im Gegenteil: Dies ist der Beginn eines neuen, friedlichen Zeitalters. Seien Sie froh und stolz darauf, ihm beiwohnen zu dürfen!«
    Dann wandte er sich ab, blickte hinaus auf den Firth. Und die Wolke kam.
    ***
    Hunger. Grenzenlose Begierde. Ein Verlangen, das keine Schranken kannte.
    Zamorra empfing die Strömungen der höllischen Erscheinung so deutlich, als wären sie Klänge. Und er erkannte sie. Er selbst hatte so empfunden, bevor William ihn aus den Fängen des Nebels gerettet hatte. Nun aber war kein William weit und breit - und diesmal war der Dunst auch unfassbar viel größer…
    Sie standen auf dem Deck der Bohrinsel: Zamorra, Morrow und zwei NorthOil -Mitarbeiter - und alle Maschinen ruhten. Kein Tropfen Öl wurde mehr gewonnen, kein Handschlag mehr gearbeitet. GALAHAD wartete. Der Moment der Entscheidung war nahe, und wer nicht zu Morrows »privilegiertem Einsatzteam« gehörte, hatte sich längst in den Bauch des stählernen Ungetüms verzogen. Doch selbst dort würde niemand sicher sein. Nicht vor dem, was da auf sie zukam!
    »Vorsicht!«, schrie Morrow über den Lärm des tosenden Windes und das Rauschen des sich wie aufgewühlt gebärenden Firths hinweg. »Ein paar Sekunden noch!« Er war ekstatisch, der Erfüllung seines Lebenstraums nahe. Man sah und hörte es ihm an.
    Zamorra verstand den Mann, bemitleidete ihn sogar. Sein Schmerz hatte Morrow schon vor Jahrzehnten den Verstand verwirrt, ihm den Sinn für Realitäten und das Gespür für Gefahr geraubt. Er kannte nur noch die Hoffnung, durch eine heroische Tat auszugleichen, was ohnehin nicht seine Schuld gewesen war. Verblendet vor Trauer klammerte er sich an einen Strohhalm und erkannte gar nicht, was wirklich geschah.
    Genau das machte Morrow gefährlich. Das und die Tatsache, dass sie alle in wenigen Augenblicken mordlüsterne Zombies sein würden, wenn er, Zamorra, nicht langsam etwas unternahm.
    Nur was? Vielleicht…
    Der Meister des Übersinnlichen konzentrierte sich. Er hatte dieser Entität bereits einmal gegenübergestanden, schon im Château den mentalen Kampf gegen sie aufgenommen. Damals hatte er verloren, aber damals war er auch überrascht worden…
    Eiskalter Wind schlug gegen sein Gesicht, zerrte an seiner Kleidung, seinem Haar. Zamorra schloss die Augen, öffnete seinen Geist und sah…
    Der Eindruck ähnelt dem Erlebnis im »Zauberzimmer«: Der Professor sieht den sturmgepeitschten Firth, das ferne Ufer, die Wolke am Himmel - leuchtend und bösartig wie ein Geschwür. Sie gehört nicht hierher, das spürt er mit all seinen Sinnen, nicht in diese Dimension. Sie ist kein Friedenswerkzeug , kann es nie sein, denn ihr Wesen ist die Gier. Die unbändige Sehnsucht nach MEHR. Was sie bringt, ist Tod und Zerstörung. Nichts weiter.
    Grelle Farben. Scharfe Übergänge und Konturen. Die ganze Welt ist härter in dieser Vision, klarer umrissen, intensiver. Zamorra bemerkt, wie Morrow seine Helfer befehligt, ihnen Anweisungen zubrüllt, die diese - eingeschüchtert und nah an der Selbstaufgabe - prompt umsetzen. Bald schalten sie die Maschine an, die sie bedienen, und saugen den

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