0927 - Nacht über GALAHAD
Unvermeidliche.
***
Oxford, 2000
Dad
Egal, wie oft Julian es auch sah, er konnte es nicht glauben. Sein Sohn, sein toter Sohn, stand vor ihm - als Wesen aus Dunst und Nebel, nicht als Produkt seiner Einbildung. Die kleine Eindämmungskammer, die er sich im Keller seines kleinen Hauses eingerichtet hatte, hielt Nigel fest, ließ ihn nicht entweichen - und solange Julian sicherstellte, dass ihre Wand zwischen ihm und dem blieb, was aus seinem Sohn geworden war, konnte ihnen beiden nichts passieren. Dann waren sie wieder beisammen.
Dad
Nigel schwebte im Inneren der Kammer, sein Körper wenig mehr als eine zerfasernde und sich stetig neu formierende Wolke. Sie wirkte unscharf und wackelte, fast als stamme sie aus einer anderen Dimension und habe Schwierigkeiten, sich in dieser Wirklichkeit dauerhaft zu verankern. Aber sie war da. Er war da.
»Wir haben es geschafft, Kiddo«, murmelte Julian gedankenverloren. »Ich weiß nicht, wie, aber ich habe dich wieder.« Eigentlich hatte er dem Nebel nur eine Probe entnehmen wollen, um dessen Beschaffenheit zu testen und seine Theorie zu überprüfen, nach der das Phänomen für militärische Zwecke eingesetzt werden konnte. Doch als er aus der Antarktis zurückgekehrt und sich wieder in Oxford eingerichtet hatte, war aus der Probe… Nigel geworden.
Es ist ein Geschenk , dachte Julian und fragte sich, wann er zuletzt so glücklich gewesen war. Vermutlich nicht mehr, seit es angefangen hatte, damals vor zwanzig Jahren. Ich kann mir nicht erklären, warum der Nebel Nigels Form angenommen hat. Hat er ein Bewusstsein? Liegt es an mir? Oder bilde ich mir all das nur ein?
Es machte keinen Unterschied. Was zählte, war, dass er die Probe hatte - und in ein paar Jahren würde er auch die finanziellen Mittel besitzen, seine Experimente durchzuführen. Und mit ihnen die Chance, aus seiner ganz privaten Tragödie einen Segen für die gesamte Menschheit zu machen.
***
GALAHAD, Gegenwart
Sarah Marshall schrie auf, als plötzlich zwei Menschen neben ihr materialisierten, sprang erschrocken zur Seite und riss Remy Baudoin von den Füßen. Der stämmige Mann stolperte vor und kippte ungrazil zur Seite.
»Wer… wer sind Sie?«, fragte die junge Meteorologin zögernd und half Baudoin wieder hoch. Bisher war sie davon ausgegangen, dass nur Gryf über die Fähigkeit der zeitlosen Teleportation verfügte, aber diese zwei Gestalten waren ihr fremd. Und - zumindest rein optisch - noch deutlich exotischer als der Waliser mit dem Zungenbrechernamen.
Es handelte sich um einen gut aussehenden Mann von vielleicht fünfundvierzig Jahren. Er trug einen weißen, modischlegeren Anzug und dazu ein weinrotes Hemd, das zur Hälfte aufgeknöpft war.
Seine Begleiterin trug… im Prinzip gar nichts. Goldene Haare umrahmten ein schmales, bildhübsches Gesicht und fielen ihr bis zur Hüfte hinab, wobei sie einen Großteil ihrer weiblichen Reize vor allzu forschen Blicken verbargen.
»Wir sind Freunde von Gryf«, sagte die Frau. »Mein Name ist Teri. Und das ist…«
»Zamorra!« Remy Baudoins Stimme hallte von den Wänden des Besprechungsraumes wieder, in dem die Wissenschaftler nach wie vor gefangen gehalten wurden. »Hätte ich mir ja denken können, dass du dich früher oder später hier blicken lässt.«
Der Mann in Weiß und rot blickte sich erstaunt um. »Remy? Also, allmählich begreife ich erst, in was für ein Wespennest wir hier gestoßen sein müssen. Alles Okay mit dir?«
Der Geograph hob die Schultern. »Na ja, ich wurde von einem größenwahnsinnigen Irren entführt, der hier draußen auf einen Nebel von vermutlich dämonischem Ursprung wartet, mit dem er dann die Welt retten möchte. So gesehen… Ja, alles wie immer.«
Zamorra lachte. Irgendwie konnte sich Sarah des Gefühls nicht erwehren, dass die beiden Männer eine gemeinsame Vorgeschichte hatten. Und der Sarkasmus in Baudoins Worten legte nahe, dass es keine angenehme war.
»Könnten Sie uns vielleicht sagen, was hier genau vor sich geht?«, schaltete sich Heinz H. Böffgen in die Unterhaltung ein.
»Könnten Sie uns hier rausbringen ?«, fragte Annegret Landgren. So, wie sie das letzte Wort betonte, schien sie keinen gesteigerten Wert auf Erklärungen zu legen. Sie wollte einfach weg. Sarah verstand sie nur zu gut, dennoch war sie neugierig.
Kurz, nachdem Gryf sie am Hafen abgesetzt hatte und zurück nach GALAHAD teleportiert war, hatten sie Morrows Schergen erneut aufgegriffen und eine Flucht verhindert. Seitdem steckte sie
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