0928 - Der Fliegenmann
worden? Hat man euch damals geleimt? Euch und die Tschechen?«
»Das weiß ich nicht. Wir haben uns auf die Aussagen der beiden Männer verlassen müssen. Eigentlich waren die Tschechen ja mehr daran beteiligt als wir. Wir hatten Bronzek abgehakt, und damit hatte es sich, aber jetzt holt uns die Vergangenheit ein. Man hat ihn gesehen.«
»Wer?«
»Jemand, der ihn kannte. Bronzek trieb sich in der Nähe der Grenze herum. Ein Offizier hat ihn in der Nacht gesehen, wie er durch die Wälder streifte. Der Mann kannte Bronzek nicht, aber er hat hervorragend reagiert und einige Aufnahmen geschossen. Ob Bronzek etwas davon gemerkt hat, ist mir unbekannt, aber ich habe Ihnen die Bilder mitgebracht, damit sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben.«
»Das ist gut.«
Säckler schaute sich erst um, bevor er in seine Jackentasche griff.
Er holte einen Briefumschlag hervor, trocknete wieder seine Stirn und zog mit spitzen Fingern einige Aufnahmen aus dem Umschlag, die er Stahl über den Tisch hinweg zuschob.
Harry schaufelte sein dunkles Haar mit den grauen Strähnen zurück, um beim Sehen nicht behindert zu werden, und schaute sich die Aufnahmen an. Säckler spielte inzwischen Aufpasser. Er würde jeden, der an den Tisch kam, zur Seite scheuchen, auch den Kellner.
Drei Bilder waren es.
Alle drei zeigten dasselbe Motiv.
Einen Mann, der durch den Wald ging. Der Mann trug wohl keinen Fetzen im Leib. Das heißt, sein Oberkörper war nackt. Da die Beine auf den Fotos nicht zu sehen waren, konnte Harry nicht erkennen, ob er sich eine Hose übergestreift hatte. Nicht nur die Nacktheit fiel Harry auf. Es war auch die Haltung der Arme, die ihn stutzig machte. Den linken Arm hatte der Mann angewinkelt, ihn dabei auch angehoben und ihn sowie die Hand in einer unnatürlichen Haltung um den Nacken geschlungen, als wollte er sich dort an einer bestimmten Stelle kratzen.
Den Blick hatte er gesenkt. So war sein Kopf zu sehen, auf dem kein einziges Haar wuchs. Eine kräftige Nase, ein schmaler Mund, düstere Augen, das war Edgar Bronzek.
Aber es gab noch etwas, das dieses Foto so außergewöhnlich machte. Auf dem Gesicht und selbst an den Mundwinkeln hatten sich fette Schmeißfliegen versammelt. Sie hockten dort, als wären sie festgeklebt, und Harry glaubte nicht, daß sie künstlich waren.
Er steckte die Fotos wieder zurück in den Umschlag. Säckler hatte jetzt eine Sonnenbrille aufgesetzt. »Nun?« fragte er.
»Die sind schon beeindruckend.«
»Meine ich auch.«
»Wie sind sie an die Bilder gekommen?«
»Das ist schnell erklärt. Der Grenzoffizier hat sie geschossen und sie an seine Vorgesetzten weitergereicht. Dort saß zufällig jemand, der Edgar noch von früher her kannte. Als er die Fotos sah, da fühlte er sich wie von einem Hammerschlag getroffen, denn für ihn war der gute Edgar längst tot und vermodert. Er setzte sich mit uns in Verbindung.«
»Sind Sie und die Tschechen denn sicher, daß es sich bei dem Kerl um Bronzek handelt?«
»Ja.«
»Dann ist er nicht tot gewesen?«
Säckler hob die Schultern. »Diejenigen, die ihn exekutierten, behaupten das Gegenteil.«
»Sie haben ihn verscharrt.«
»Richtig.«
»Auf einem Friedhof?«
»Nein!« rief Säckler. »Wo denken Sie hin? Er hat ein Grab irgendwo im Gelände bekommen.«
»Aus dem er nun entwischt ist!« stellte Harry fest.
Für diese Bemerkung hatte Säckler nur ein säuerliches Gesicht übrig. »Das weiß ich nicht genau. Wir tappen im dunkeln, und Sie sollen Licht in den Fall bringen.«
»Ich soll ihn also fangen?«
»Ja.«
»Einen lebenden Toten?«
»Gibt es die denn?«
Harry grinste schief und lachte dabei. »Was glauben Sie, was es nicht alles gibt. Davon mal abgesehen, Herr Säckler. Welche Freiheiten habe ich?«
»Viele.«
»Genauer.«
»Geld spielt keine Rolle. Sie können sich frei in Tschechien bewegen. Ich habe mit der anderen Seite gesprochen. Aber es ist besser, wenn Sie drüben nicht all Ihre Pläne und Absichten offenlegen.«
»Ja, das ist mir auch lieber.« Harry holte noch einmal ein Foto hervor. »Der Knabe sieht nicht eben ungefährlich aus.«
»Da sagen Sie was. Schon zu Lebzeiten galt er als rücksichtsloser Killer.«
»Nun bin ich kein Spezialist für lebende Leichen…«
Säckler lachte nicht. »Es gibt aber jemanden, den man als solchen bezeichnen kann.«
»Ach?«
»Und ich habe viele Freiheiten.«
»Das sagte ich Ihnen.«
»Dann werde ich versuchen, den Mann zu überreden, nach Deutschland zukommen.«
Mit dieser
Weitere Kostenlose Bücher