0929 - Engelsblut
hervorholen?«
»Wenn es sein muß.« Sie nahm die Untertasse und tunkte sie mit dem Rand in die ölig wirkende Flüssigkeit. Danach hielt Marcia sie schräg, damit das Blut auch in die Mitte der Tasse rinnen konnte und die flache Vertiefung ausfüllte.
»Reicht es?«
»Bestimmt.«
Sie schaute mir zu. Ihr Lippen bewegten sich. Die Schneidezähne kauten auf der Unterlippe, die Hände schlossen sich zu Fäusten und öffneten sich wieder.
Oft genug hatte ich schon den Kreuz-Test vorgenommen. Ob er mir hier etwas bringen würde, wußte ich nicht, bisher allerdings hatte ich mich auf diesen Test verlassen können.
Ich hielt das Kreuz so, daß sein langes Ende nach unten wies. Durch meine Handbewegung näherte er sich der dunkelroten Oberfläche, es kam zur Berührung, und noch in derselben Sekunde spürte ich den Wärmestoß, der das Kreuz durchdrang.
Warum?
Die Antwort auf diese Frage bekam ich auch nicht, denn etwas ganz anderes passierte.
Die vier Buchstaben an den Seiten des Kreuzes glühten plötzlich auf, und ich hörte den leisen Schrei der Marcia Morana…
***
Es war nichts geschehen, gar nichts. Es war alles so geblieben. So herrlich oder schrecklich harmlos, aber Bill Gates traute dem Frieden nicht. Er glaubte nicht daran, daß sich die Dinge zu seinem Gunsten entwickelten. Es war einfach zu vieles anders. Er hatte den Mann erwischt. Dieser Blonde war verletzt worden, mindestens verletzt, und deshalb hätte normalerweise ein Krankenwagen anfahren müssen oder sogar ein Leichenwagen. Aber beide waren nicht erschienen.
Er hätte sie gesehen und auch gehört, denn er hatte die Gegend des Hauses nicht verlassen.
Da paßte so einiges nicht zusammen, und das wiederum ärgerte ihn. Er wußte nicht, wie er es in die Reihe bringen sollte. Bisher hatte er die Vorgänge bestimmt, er war der Meister gewesen, der Chef, nun aber waren ihm die Dinge aus der Hand genommen worden.
Er beobachtete das Haus.
Alles lief normal. Da verließen Mieter das Haus, andere kamen, aber von der Zeugin und dem blonden Mann hatte er bisher nichts gesehen. Sie hielten sich in der Wohnung auf, oder hatten es geschafft, das Haus heimlich zu verlassen. Doch mit diesem Gedanken konnte er sich nicht so recht anfreunden. Seiner Meinung nach waren beide in der Wohnung, wobei sich die Frau um den Mann kümmerte. Wahrscheinlich hatte sie seine Wunde verbunden. Aber warum holte sie keinen Arzt, der sich um den Mann kümmerte? Das wäre vernünftig gewesen.
Er schüttelte den Kopf. Er war wütend, aber nicht nur wegen des Falls, auch ärgerte er sich über seine eigene Unzulänglichkeit, und das eben war ein Problem.
Er haßte Fehler. Bisher war immer alles so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte, nun aber mußte er sich auf etwas anderes einstellen, auf eine völlig neue Lage.
Das Prinzip aber war geblieben.
Die Frau mußte weg.
Und der Mann auch!
Immer dann, wenn er sich selbst unsicher war, kam ihm der Gedanke an seine Mutter. Sie war eine Frau, die ihm schon immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte. Sie war so gut, so einmalig, und sie hatte immer einen Ausweg gewußt.
Auch jetzt sollte sie ihm helfen, und die Telefonzelle in der Nähe kam ihm sehr gelegen. Noch war sie besetzt. Ein junges Mädchen redete und redete. Wegen der Wärme hatte sie die Tür nicht geschlossen. Bill Gates hörte die etwas schrille Stimme, denn sie schimpfte irgendeine Person aus und lachte zwischendurch.
Er blieb vor der Zelle stehen. Seine rechte Hand zuckte. Am liebsten hätte er wieder sein Messer gezückt, denn auch diese Person war unschamhaft gekleidet und das, obwohl sie voll entwickelt war. Unter dem engen weißen Pullover malten sich die Brüste wie zwei große Äpfel ab. Der Bauchnabel war frei. Das war eben die neuste Mode.
Sein Gesicht juckte, denn dort klebten noch immer die letzten Leimreste.
Er rieb sie ab. Seine Bewegungen waren heftig. Sie fielen sogar dem Teenie auf. Das Mädchen schaute ihn an und sah ihn in der Nähe der Zelle stehen. Was ihr Angst eingeflößt hatte, konnte sie nicht sagen, es waren möglicherweise die Augen, die so kalt und fischig ihren Körper taxierten, und die Kleine kriegte plötzlich Angst. Trotz der Hitze durchrann ihren Körper ein kalter Strahl, der sich auch als Gänsehaut niederlegte.
»Ja, ich muß jetzt Schluß machen«, sagte sie mit normaler Stimme und legte auf.
Dann verließ sie hastig die Zelle und vergaß sogar, ihre Karte aus dem Schlitz zu ziehen.
Der Mörder lächelte kalt,
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