0929 - Engelsblut
habe auch den Schmerz gespürt, der meinen Körper zerfressen wollte. Ich weiß nicht, ob ich überlebt hätte, denn da gibt es so viele Unwägbarkeiten, aber ich weiß eines mit Bestimmtheit. Ich bin gesund. Es gibt keine Wunde mehr, auch keine Narbe. Soll ich von einem Wunder sprechen? Es ist so etwas wie ein Wunder, aber glauben kann ich daran nicht. Es sei denn, Sie, Marcia, erklären mir dieses Wunder.«
Sie hob die Schultern. »Irgendwo ist es schon ein Wunder.«
Ich deutete auf ihre Hände. »Damit haben Sie mich geheilt, nehme ich an.«
»Nein und ja«, murmelte sie. »Eigentlich mehr indirekt, was nicht einfach zu erklären ist.«
»Das glaube ich.«
»Es ist das Blut!«
Auf diese Antwort hatte ich gewartet. Jetzt kamen wir der Sache endlich näher. Ich schaute sie an, und Marcia saß auf ihrem Platz wie eine Figur. Sie betrachtete das Gefäß, bewegte sich dann, hob es hoch und stellte es auf ihren Schreibtisch. Den Deckel legte sie daneben. Sie tunkte einen Finger in die rote Flüssigkeit, drehte sich um und hielt mir den Finger hin. »Das Blut«, wiederholte sie.
Ich hatte mir schon so etwas in dieser Richtung gedacht und fragte: »Heilendes Blut?«
»Ja.«
»Und was sonst?«
»Nichts mehr, John«, flüsterte sie. »Es ist das heilende Blut. Aber, das gebe ich zu, es ist ein besonderes Blut. Nicht das eines Menschen, sondern das eines Engels. Wir haben es hier mit reinem Engelsblut zu tun. Das ist eine Tatsache.«
Ich schwieg zunächst einmal, weil mich dieses Geständnis doch überrascht hatte. Dieser Francis Dobson hatte ja einige Andeutungen gemacht, nun aber hörte ich es aus dem Munde einer direkt Betroffenen, und ich wollte nicht glauben, daß Marcia log.
Das war die eine Seite.
Nun kam die zweite. In meinem Beruf hatte ich es schon mit den verschiedensten Fällen zu tun gehabt. Mir waren nicht nur Dämonen begegnet, sondern auch Engel. Zwar war ich keiner, der sich wissenschaftlich mit Engeln beschäftigte, doch ich wußte, daß Engel im Prinzip feinstoffliche Wesen waren, abgesehen von Raniel, Belial und einigen anderen. Man konnte sie auch nicht als direkte Engel bezeichnen, nicht als solche, wie ich sie kannte, als sie sich mir zu viert zeigten, eben die Engel, deren Anfangsbuchstaben in mein Kreuz eingraviert worden waren. Die vier Erzengel, die bestimmt sicherlich kein Blut hatten und nur feinstofflich waren.
»Sie zweifeln, John?«
»Ist das unnatürlich?«
»Nein«, sagte sie, »sicherlich nicht. Sie haben schon recht. Es ist wirklich außergewöhnlich, aber glauben Sie mir. Dieses Blut stammt von einem Engel.«
»Den Sie kennen?«
Sie hob die Schultern. »Kennen ist zuviel gesagt. Der Engel stand auf meiner Seite.«
»Und er gab Ihnen sein Blut?«
»Nicht direkt.«
»Können Sie das nicht genauer erklären?«
Marcia lächelte. »Ich kann es schon, aber ich möchte es nicht. Noch nicht. Es soll ein Geheimnis bleiben, das habe ich versprochen, John. Nehmen Sie das hin?«
»Ich muß es, aber meine Neugierde bleibt bestehen.«
»Die meisten Menschen glauben nicht an Engel oder kennen sich damit nicht aus. Ich bin zwar keine Forscherin, aber die heilenden Kräfte des Blutes haben mich überzeugt. Ich bin gekommen, um Gutes zu tun, aber man kann es nicht jedem recht machen.«
»Das ist leider so«, gab ich zu. »Legen wir das Engelsblut mal beiseite, denn ich habe eine andere Frage: Was halten Sie denn von mir, Marcia? Wie komme ich Ihnen vor?«
Sie lächelte und schaute mich an. Ihr Gesicht hatte den Ernst verloren, und ich mußte zugestehen, daß sie hübsch war und mir gefiel, auch wenn das zurückgekämmte Haar dem Gesicht einen strengen Schnitt gab. »Sie haben eine Frage gestellt und sollen auch eine Antwort bekommen, John. Ich will Ihnen ehrlich sagen, daß ich von Ihnen einfach zuwenig weiß. Aber ich habe mir ein erstes Bild machen können, und das ist nicht negativ.«
»Danke.«
»Sie brauchen sich wirklich nicht zu bedanken. Ich sehe Sie als einen Menschen an, der genau weiß, was er will. Sie sind hergekommen, um einen Mörder zu stellen…«
»Ich bin Polizist.«
»Da haben Sie recht, aber Sie haben mich nicht ausgelacht.«
»Wie könnte ich, wo Sie mich gerettet haben?«
»Daran habe ich nicht mehr gedacht. Aber Sie sind nicht irgendein einfacher Polizist, sage ich mal und meine es nicht abwertend.«
»Was bin ich dann?«
»Sie haben etwas an sich«, gab Marcia nach einer Weile des Nachdenkens zu, »mit dem ich nicht zurechtkomme. Ich denke darüber
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