093 - Neun Leben
selbst. Mit einem einzigen Satz war es ihm gelungen, alle Soldaten auf der Mauer gegen sich aufzubringen. Selbst wenn das Tor morgen geöffnet wurde, würde man sie jetzt nicht mehr in die Stadt lassen.
»Wieso haben Sie nicht erwähnt, dass Sie die Königin kennen?« Black riss ihn mit der Frage aus seinen Gedanken.
»Hätten wir uns damit nicht Zutritt zur Stadt verschafft?«
Matt strich sich müde mit der Hand über die Augen.
»Vielleicht… wenn Jennifer noch Königin ist, aber das weiß ich nicht. Es hat sich hier so viel verändert in den letzten Jahren. Wer kann sagen, ob es keine Revolution gab und man Jenny in den Kerker geworfen hat? Dann wäre es wohl nicht sehr klug, damit anzugeben, dass man sie kennt.«
»Das ist richtig.« Black verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete die wartenden Menschen. »Wir sollten mit ihnen reden und herausfinden, weshalb das Tor geschlossen ist. Vielleicht liegt darin die Lösung unseres Problems.«
Matt warf einen Blick auf Aruula, die schweigend neben den Andronen stand. Auch wenn sie sich nicht äußerte, stand ihre Meinung doch klar auf ihrem Gesicht: Sie hielt jeden weiteren Aufenthalt für Zeitverschwendung.
»Okay«, sagte Matt. »Dann reden wir eben mit -«
Er unterbrach sich, als er eine dunkelhaarige Frau bemerkte, die sich aus einer der Gruppen löste und zielstrebig auf ihn zukam. Sie war schlank, Mitte zwanzig, trug ein einfaches schwarzes Kleid und war barfuß.
»Anscheinend will man mit uns reden«, fügte Mr. Black hinzu.
Die Frau blieb vor Matt stehen. Sie war überraschend groß und musste nicht zu ihm aufsehen.
»Ihr wollt in die Stadt? Ich kann euch hineinbringen… für Geld. Das Deerfleisch könnt ihr behalten.« Ihr Mund war schmal und verkniffen. Er sah nicht aus, als könne man damit lächeln.
»Und wann kannst du uns in die Stadt bringen?«
Die Frau antwortete ohne zu zögern.
»Sofort.«
***
Aruula zweifelte keinen Augenblick daran, dass der Plan fehlschlagen würde. Maddrax schien ebenfalls Bedenken zu haben, denn obwohl Peeta, so hatte sich die Frau vorgestellt, behauptet hatte, sie könne ihn gefahrlos ohne Verzögerung in die Stadt bringen, bestand er darauf, bis zur vollständigen Dunkelheit zu warten. Mit den Andronen waren sie zum Wald zurückgeflogen und hofften so die Wachen überzeugt zu haben, dass sie abgezogen waren. An dem vereinbarten Treffpunkt waren sie zu Fuß auf Peeta gestoßen, die sich zwei Silbermünzen Vorschuss geben ließ.
Sie lebte in der Stadt, hatte sie gesagt, zusammen mit einem der Männer, die auf der Mauer Dienst schoben. Seit die Tore vor zwei Tagen geschlossen worden waren, verdienten sie sich ein wenig Geld damit, Leute von draußen hinein zu schmuggeln. Sein Posten befand sich unmittelbar neben einem der kleineren Tore, und niemand bemerkte, wenn er es öffnete.
Maddrax hatte nachgefragt, weshalb man die Stadt abgeriegelt habe, aber Peeta behauptete, es selber nicht zu wissen, da die Krieger unter dem strikten Befehl stünden, nichts darüber zu sagen. Das war der Moment, in dem Black gefragt hatte, ob es nicht einen ebenso strikten Befehl gegen das heimliche Hineinschmuggeln von Fremden gäbe, aber Peeta hatte nur mit den Schultern gezuckt. Anscheinend nahm man manche Befehle ernster als andere.
Aruula sah sich nervös um. Die Götter meinten es gut mit ihnen und hatten mit der Dunkelheit auch Regen geschickt. Das Plätschern des Wassers übertönte die Geräusche ihrer Schritte.
Sie hatten den gemauerten Teil der Stadtumzäunung hinter sich gelassen und schlichen jetzt an hohen Palisaden vorbei.
Überdachte Wachtürme ragten dazwischen auf. Die Krieger, die darin standen, waren nicht mehr als dunkle Umrisse. Ab und zu hörte man ihre Unterhaltungen über den Regen hinweg.
»Wir sind da.« Peeta blieb stehen und zeigte auf eine schwere Holztür, die keinen Griff besaß. Sie wurde wohl nur von innen geöffnet.
»Und was jetzt?« Maddrax klang so nervös wie Aruula sich fühlte. Der Regen lief in Bahnen über sein Gesicht. Er hielt den Driller in der Hand.
»Wir warten. Jemand könnte uns hören, wenn wir klopfen. Juugn sieht ab und zu nach, ob jemand vor der Tür wartet.«
»Gibt es keine Außenpatrouillen?«, fragte Mr. Black und schüttelte Regen aus seinen Haaren.
»Nein.« Peeta lehnte sich gegen die Palisaden. Das Kleid klebte an ihrem Körper, und Aruula bemerkte, dass sie schwanger war. Der Gedanke versetzte ihr einen Stich, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Ihr
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