093 - Neun Leben
Mr. Black betont optimistisch. »Der Plan war keine völlige Katastrophe. Als Pluspunkt können wir verbuchen, dass es uns gelungen ist, in die Stadt zu gelangen. Als Minuspunkt…« Er beendete den Satz nicht, sondern zerrte nur kurz an seinen Ketten.
Ein anderer Gefangener, der, seit Matt zu sich gekommen war, ununterbrochen »Das Ende ist nah« sagte, lachte laut und keifend wie eine Hyäne. Dann kehrte er zu seiner endlosen Wiederholung zurück.
»Halt endlich die Fresse!« In einer Nebenzelle warf sich ein dicker Mann mit Geschwüren im Gesicht in seine Ketten. Zwei Frauen, die ebenfalls angekettet waren, begannen ihn zu beleidigen. Der Mann schrie sie an, konnte sie jedoch nicht erreichen. Sie schienen die Reichweite der Ketten genau zu kennen.
Der Lärm weckte die Gefangenen, die bis dahin noch geschlafen hatten. Innerhalb von Minuten sprangen sie kettenklirrend auf, brüllten, schrien und tobten. Essensnäpfe flogen durch die Gitterstäbe in den Gang, Eimer mit Wasser und Fäkalien wurden umgestoßen. Der Gestank raubte Matt fast den Atem.
Er ließ den Blick durch den überfüllten, fensterlosen Raum gleiten. Die mit Stroh ausgelegten Zellen lagen zu beiden Seiten eines breiten Gangs. Pechfackeln schufen flackernde Schatten in einem merkwürdigen Halbdunkel, das es unmöglich machte, die Uhrzeit zu schätzen. Einige Gefangene trugen Ketten, die meisten bewegten sich jedoch frei. Es überraschte Matt nicht, dass man ihn, Black und Aruula angekettet und ihnen alles außer der Kleidung am Leib abgenommen hatte. Das passte zum Rest des Tages.
»Den Kerker kenne ich noch nicht«, sagte er, als der Lärm nachließ. »Der muss neu sein.«
Bei seinem ersten Besuch in Berlin hatte man ihn ebenfalls eingesperrt, kurz bevor er zu Jenny gebracht wurde. Die Männer in der Zelle hatten ihn für einen Abgesandten der Götter gehalten.
»Und?«, fragte Black und gähnte. »Wie macht er sich im Vergleich?«
Matt betrachtete das Stroh, das überraschend sauber wirkte.
»Besser.« Er lehnte sich an die Wand und schloss die Augen.
Aruula hatte sich längst schlafen gelegt, ließ sich weder von Lärm noch Gestank stören. Im Gegensatz zu ihm verfügte sie über die Fähigkeit schlafen zu können, wenn es nichts gab, was sie an einer Situation ändern konnte. Er neigte in einem solchen Fall zum Grübeln.
»Ich könnte ein Buch schreiben: Die Kerker Europas«, sagte er.
»Zeitverschwendung. Die Leute, die sich das kaufen würden, können nicht lesen.« Blacks Stimme klang belegt, als schliefe er bereits. Matt gähnte und ließ es zu, dass der Schlaf ihn übermannte. Ein harter Tag lag hinter ihnen. Nach ein paar Stunden Schlaf würden sie alle klarer denken.
Mit einem Knall flog die Tür am Ende des Gangs auf.
»Guten Morgen, Abschaum!«, brüllte eine raue Männerstimme. »Was ist das für ein scheiß Gestank hier?«
Matt schüttelte die Müdigkeit ab. Neben ihm kam Aruula so geschmeidig auf die Beine, als hätte sie nie geschlafen. Black sprang auf und wirkte für einen Moment desorientiert.
»Was sagt er?«, fragte er dann. Man hatte ihm den Universalübersetzer abgenommen und er verstand nur Bruchstücke von dem, was gesagt wurde. Matt übersetzte leise.
»Alle aufstehen und an die Gitter treten, na los!«
Die Gefangenen kamen der Aufforderung sofort nach. Matt sah die Angst in ihren Gesichtern.
»Peetr, du bist doch bestimmt für diese Sauerei verantwortlich.« Die Stimme klang wütend und unbeherrscht.
Der Schatten des Mannes fiel lang in den Gang, dann trat er in Matts Gesichtsfeld.
»Ah, Neuzugänge!«, brüllte er. Sein Gesicht war rot und dick, das Gesicht eines Trinkers. Er trug die Uniform der Stadtwache.
Sie wölbte sich über seinem vorstehenden Bauch. In einer Hand trug er einen Stock, in der anderen einen Krug mit Bier.
Er rülpste und grinste breit. Matt fragte sich, ob ein einstelliger Zahnbestand eine Grundvoraussetzung für die Arbeit bei der Stadtwache war.
»Hier sind die Regeln, Abschaum. Mein Name ist Claas, aber ihr nennt mich Herr. Ihr verteilt euren Dreck nicht in der Zelle, sondern benutzt den Eimer. Der wird täglich geleert, Essen bekommt ihr zweimal am Tag, obwohl ihr das nicht verdient. Einmal die Woche gibt’s neues Stroh. Wenn ich keine Klagen höre, nehme ich euch nach einem Monat die Ketten ab.«
»Nach einem Monat?« Matt konnte sein Entsetzen nur schwer unterdrücken. »Wir sind noch nicht verurteilt worden.«
Claas lachte. »Und da hätten wir also den Klugscheißer
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