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093 - Neun Leben

093 - Neun Leben

Titel: 093 - Neun Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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nicht mehr mit ihm rechneten. Vielleicht glaubten sie sogar, er wäre tot.
    Der Jäger tastete nach den Beulen auf seinem Kopf und den Striemen an seinem Hals. In seinem eigenen Lager hatten sie ihn besiegt und beleidigt. Um sich dafür zu rächen, würde er sogar an einen Ort gehen, den er verabscheute.
    Er tastete nach dem Messer in seinem Gürtel und dem Beutel mit Deerfleisch auf seinem Rücken. Dann wandte er sich nach Westen, der stinkenden, lärmenden Stadt entgegen.
    ***
    Man nannte ihn Bulldogg, und er bewachte seit zwei Sommern das Stadttor Beelinns. Es war eine leichte Arbeit, nicht zu vergleichen mit den vierundzwanzig Sommern, die er auf See verbracht hatte. Er war noch ein junger Mann gewesen, als der Dämon, den sie Skorbuut nannten, ihm die Zähne nahm und nur zwei übrig ließ, die sich aus seinem Unterkiefer über die Lippen schoben. Er hatte die ersten Männer zusammengeschlagen, die ihn nach den Kötern benannt hatten, die in Hinterhöfen aufeinander gehetzt wurden, aber der Name passte zu gut und war hängen geblieben. Mittlerweile hörte er auf keinen anderen mehr.
    Einige Sommer später riss ihm eine Seilwinde beide Zeigefinger ab, aber erst als er sein linkes Auge durch einen Enterhaken verlor, begriff er die Warnung der Götter und verließ das Meer. Das Schiff, auf dem er so lange gearbeitet hatte, sank noch im gleichen Winter.
    An der Nordküste, dort wo der Sand so fein wie Seide war, kaufte er eine stumme Frau von einem Bauern. Sie hieß Leena und er tauschte sie gegen seinen alten Frekkeuscher. Ihre Augen waren tiefblau wie das Meer.
    In einem Dorf stieß er auf einen Soldaten aus Beelinn, der nach Rekruten suchte. Er hatte den Auftrag, nur Männer anzuwerben, die mit Frauen zusammen lebten, und als Bulldogg ihn nach dem Grund fragte, erzählte der Soldat die Geschichte der verfeindeten Menen und Frawen. Die Stadt, so sagte er, brauche Menschen, die von dieser natürlichen Feindschaft unbelastet seien, um von vorne anfangen zu können.
    Bulldogg verstand das, und da auch er von vorne anfangen wollte, beschloss er, dass die Stadt gut zu ihm passen würde. Er zog mit Leena nach Beelinn, zog die Uniform der Stadtwache an und baute eine kleine Hütte direkt am Fluss. Man wurde nicht reich, wenn man auf der Stadtmauer stand, aber man verlor auch keine Körperteile. Zumindest war die Gefahr geringer, obwohl die Arbeit seit dieser Sache wesentlich unangenehmer geworden war.
    Er stützte sich auf seinen Speer und sah über das Stadttor hinweg. Seit dieser Sache war es geschlossen, und auf den Wehrgängen hatte sich die Präsenz der Soldaten verdoppelt.
    Bulldogg war sich nicht sicher, was das bringen sollte, aber er hielt den Mund und strich das Geld ein, das er für die Extraschichten bekam.
    Die Menschen, die vor der Mauer lagerten, hatten längst aufgegeben, ihn um Einlass zu bitten. Ab und zu rotteten sich ein paar zusammen, um ihn anzuschreien, die meisten saßen jedoch resigniert in kleinen Gruppen zusammen. Ihm taten die Bauern Leid, die zusehen mussten, wie ihr Gemüse auf den Wagen verfaulte. Die nächsten Städte, die über einen Markt verfügten, Pootsdam und Braadenburg, lagen zu weit entfernt.
    »Soldat!«
    Er erkannte die scharfe, schneidige Stimme seines Vorgesetzten sofort und nahm Haltung an. Sergant Deenis - oder Arschkriecher Deenis, wie er von seinen Untergebenen genannt wurde - kletterte die letzten Leitersprossen hoch und betrat den Wehrgang. Seine schwarzen polierten Stiefel schlugen rhythmisch auf die Holzbohlen. Jemand hatte einmal das Gerücht in die Welt gesetzt, Deenis mache sogar fegaashaa im Gleichschritt.
    »Bulldogg, Soldat Wulfgang hat sich krank gemeldet. Du übernimmst seine Schicht.«
    »Ich hab schon zwei gemacht, Sergant. Kann nich en anderer Mann die machen?«
    Deenis hob die Augenbrauen. Alles an ihm war scharf und schneidig, von der Stimme über seine kurzgeschnittenen Haare, das glatte Gesicht mit den blauen Augen und den weißen, geraden Zähnen bis hin zur gut sitzenden Uniform. Er war halb so alt wie Bulldogg, verdiente jedoch schon doppelt so viel.
    Und er wollte hoch hinaus, das wussten alle, weg von der Außenmauer und hin zur Palastwache.
    »Wenn es ein anderer Mann machen könnte«, sagte Deenis in seiner überbetonten Aussprache, »hätte ich einen anderen Mann gefragt. Oder glaubst du, ich sehe mir deinen Anblick länger als unbedingt nötig an?«
    »Nein, Sergant.«
    »Dann frag nicht so blöd.« Deenis wandte sich ab und ging mit langen

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