093 - Neun Leben
Neider mit sich, die jetzt die Chance haben, alles an sich zu reißen und zu vernichten. Nur die Königin, die Thronfolgerin und der König haben das Herrschaftsrecht in dieser Stadt. Deshalb müsst Ihr den freien Platz einnehmen, bis wir sie gefunden haben.«
Matt hörte das Wort Thronfolgerin nun schon zum zweiten Mal. Hatte Jenny jemanden bestimmt, der - oder vielmehr die -
an ihrer Stelle die Regierungsgeschäfte übernehmen konnte, wenn ihr etwas zustieß?
Oder war diese Thronfolgerin gar… Nein, das war zu abwegig, um es ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Matt verdrängte den Gedanken gleich wieder. Er hätte Johaan fragen können, aber auch das verbot er sich.
Die Eskorte setzte sich auf das Kommando des Ersten Königlichen Beraters hin wieder in Bewegung und bog in eine breite Straße ein, die auf ein zweistöckiges Gebäude zuführte, das halb in die Ruine eines Bürohauses hinein gebaut war.
Bunte Fahnen mit dem Wappen eines Bären wehten aus den leeren Fenstern. Wachen, die das gleiche Wappen auf der Brust trugen, präsentierten ihre Schwerter. Sie wirkten jünger und besser ausgebildet als die Soldaten, die Matt bisher gesehen hatte.
»Das ist die Palastwache«, erklärte Johaan. »Die Elite unter den Soldaten.«
Zwei von ihnen liefen die Stufen der breiten Treppe hinauf, die in den Palast führte, und zogen die schweren dunklen Holztüren auf. Die anderen drehten sich im Gleichschritt um und nahmen Matt in die Mitte, während die Stadtwache mit deutlichem Neid in den Augen zurückwich.
Aruula und Black wollten aufschließen, aber die Palastsoldaten ließen sie erst durch, als Matt es ihnen befahl.
Eine einzelne Wache lief in den Gang hinein, der am Ende der Treppe lag.
»Er informiert den Ausrufer«, sagte Johaan, »damit er Euch standesgemäß ankündigen kann. Niemand im Audienzsaal ahnt, dass Ihr hier seid. Wir können also mit interessanten Reaktionen rechnen.«
Sie tauchten aus der Morgensonne in den Schatten des Palasts ein. Matt sah nur einige Gänge, offen stehende Türen und jede Menge Baumaterial. Überwiegend weibliche Handwerker fielen auf die Knie, wenn sie ihn sahen, und nahmen ihre Arbeit erst wieder auf, wenn er an ihnen vorbei gegangen war.
»Gefällt Jen… der Königin dieser Personenkult?«, fragte Matt.
Es schien nicht zu ihr zu passen, eine solche Unterwürfigkeit von ihren Bürgern zu verlangen.
»Nein, aber sie hat gelernt, damit umzugehen. Ihre Untertanen halten sie schließlich immer noch für eine göttliche Abgesandte.«
»Und du hältst sie nicht dafür?«
»Nein.«
Matt sah Johaan überrascht an. Der Erste Königliche Berater war älter als er und kleiner. Er hatte eine hohe Stirn und trug einen dunklen, grau durchsetzten Kinnbart. Sein Blick war wach und intelligent.
Er passt nicht in diese Stadt, dachte Matt. Wieso ist er hier?
Vor ihm öffneten die Wachen eine weitere Tür. In dem Raum, der dahinter lag, standen weitere Soldaten mit verzierten Speeren. Sie umringten einen leeren hölzernen Thron, zu dem einige Stufen hinauf führten. Unterhalb des Throns warteten mehr als fünfzig Menschen. Einige saßen auf dem Boden, andere hatten auf Bänken Platz genommen.
Ein dickbäuchiger Uniformierter trat vor. »Erhebt euch«, rief er mit donnernder Stimme, »für Maddrax, den Abgesandten der Götter, den Herrscher über Beelinn und das Land bis zum Horizont, den König unserer Königin und Vater der Thronfolgerin. Erhebt Euch!«
Matt glaubte, jemand habe ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.
Vater?
***
Worüber wunderst du dich eigentlich?, fragte eine kleine, irgendwie abgeklärte Stimme in Matts Hinterkopf. Du hast mit Jenny geschlafen, da soll so was schon mal passieren. Nur weil du dich bisher erfolgreich geweigert hast, auch nur daran zu denken, macht die Natur bestimmt keine Ausnahme.
Okay, er hatte die Möglichkeit nie wirklich in Betracht gezogen. Aber war das ein Wunder bei alledem, was er in den letzten drei Jahren erlebt hatte? Versklavung, Weltrat, Cyborgs, Raumstation, japanische Invasion, Kratersee, Daa’muren - da war einfach keine Zeit geblieben, um…
Stopp! Ich belüge mich doch schon wieder selbst!
Natürlich hatte er in den drei Jahren mehr um die Ohren gehabt als manch anderer in seinem ganzen Leben - aber er hatte unterschwellig doch immer gewusst, dass seine kurze, unfreiwillige Liaison mit Jennifer »Canucklehead« Jensen Folgen gehabt haben könnte.
Okay, nun war es Gewissheit: Er hatte eine Tochter.
Zeit, sich der
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