0931 - Shinigami
Halluzinationen von den Medikamenten hast, die du zur Beruhigung schluckst?«
»Natürlich glaube ich das nicht! Dieser… dieser Dämon oder was auch immer das ist, ist absolut real!«
»Wie oft hat er Sie denn schon besucht?«, fragte Nicole vorsichtig und zog ihren Notizblock heraus. Sie musste einfach mehr über diesen Schatten wissen, wenn sie ihn vernichten sollte. Am liebsten hätte sie auf die Hawk-Computer zugegriffen, die im Arbeitszimmer des Châteaus standen und in denen man immer - naja, fast immer - eine Antwort auf solche Fragen fand. Aber die Bibliothek allein wäre auch schon schön gewesen , dachte sie. Na ja, jetzt musste es ohne gehen.
»Das widerliche… Ding, dieses Wesen besucht mich jetzt regelmäßig seit der Vernissage von Pierre, das war in der letzten Januarwoche. Seitdem kommt es alle vier oder fünf Tage. - Pierre Mouchotte, der Fotograf, Sie wissen schon. Ich bin… ich war!… sein Lieblingsmodel. Jetzt kann man mit mir natürlich keinen Staat mehr machen.« Wieder sog sie an ihrer Zigarette und starrte in den winterlichen Schneeregen.
Nicole schwieg und bedeutete Yasmina, dasselbe zu tun. Alphonsine musste sich das Ganze einmal von der Seele reden und Nicole wollte sie dabei nicht stören. Selbst in der Psychiatrie hatte sie das offenbar nicht tun können. Wie auch. Bei der geringsten Andeutung war man ihr mit Beruhigungsmitteln gekommen. Ein Phänomen, dem Nicole schon öfter begegnet war. Menschen, die regelmäßig und unschuldig von Dämonen verfolgt wurden, wurden nur in den seltensten Fällen wirklich ernst genommen.
»Er kommt überraschend«, sprach Alphonsine nach einer Weile leise weiter. »Nicht regelmäßig, falls Sie das wissen wollen. Damit ich mich nicht vorbereiten kann, sagt er. Vor vier Tagen, in der Klinik, war er das letzte Mal da, er wollte mich wissen lassen, dass ich ihm nicht entkommen kann, nirgendwo, und dass es egal ist, wo ich bin. Meist holt er mich nachts aus dem Schlaf, hüllt mich ein und zwingt mich zu… zwingt mich, Angst zu haben. Er erschreckt mich zu Tode und schafft es immer, dieses Gefühl eine Ewigkeit in mir wach zu halten, indem er mir die Luft zum Atmen nimmt. Ich… alles in mir glaubt über Stunden hinweg, ich ersticke, aber ich tue es nicht.« Alphonsine schauderte. »Er sagt, dass ich ihm die bisher beste Nahrung biete, weil ich ein leicht magisches Wesen sei. Er nehme auch andere… Appetithappen, wenn er spürt, dass sie greifbar sind, denn ich allein bin nicht genug, aber das geht oft schief. In der letzten Woche vermehrt. Da passierte es zweimal, sagte er, dass er mittendrin seine Mahlzeit abbrechen musste.« Nicole und Yasmina wechselten einen bedeutsamen Blick. Alphonsine bemerkte ihn nicht und sprach weiter. »Deshalb blieb er beim vorletzten Mal länger. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber es muss nach zwei Uhr nachts gewesen sein. Er ging erst gegen Mittag… Selbst wenn er nicht da ist, bin ich verrückt vor Angst! Ich kann nicht einmal mehr ordentlich schlafen, selbst dann nicht, wenn ich sicher bin, dass er nicht kommt.« Unversehens schluchzte sie auf. »Wahrscheinlich ist es heute wieder so weit. Irgendwie weiß ich, dass er heute kommen wird. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal überstehe…!« Yasmina sprang auf und nahm die weinende Freundin in den Arm. Sie schien wirklich mitzuleiden und Nicole war überrascht. Nach allem, was passiert ist, hätte ich sie für abgebrühter gehalten!
Als sich Alphonsine etwas beruhigt hatte, reichte Yasmina ihr, praktisch wie sie war, einen Kognak und ein Stück Küchenpapier. »Wir werden etwas gegen diesen widerlichen Kerl unternehmen«, sagte sie mit fester Stimme. »Stimmt es nicht, Julie?«
Nicole nickte langsam. »Sie sagen, er kommt wahrscheinlich heute wieder?«
»Ja«, nickte Fonsy und schniefte. »Er meint, er darf nicht öfter kommen, weil ich sonst nicht mehr gut genießbar bin«, stieß sie hervor. »Aber er kommt immer! Als wäre ich ein Objekt! Und das ist das Schlimmste: dass ich so hilflos bin! Ich kann nichts tun! Nichts! Er macht mir immer nur noch mehr Angst, aber nie genug, dass ich aufgeben könnte! Er unterdrückt nie meinen Lebenswillen! Und jeder, dem ich das erzähle, hält mich für verrückt!«
»Wir halten Sie nicht für verrückt«, sagte Nicole ruhig. »Ich verspreche Ihnen, wir werden etwas unternehmen. Wenn Sie nichts dagegen haben, werden Yasmina und ich für ein paar Tage bei Ihnen einziehen. Jetzt werden Sie erst einmal ein wenig
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