0933 - Der erste Erbfolger
etwas anderes tauchte aus dem Nebel. Sein Name. Sein vollständiger Name. Jurg Tanaar. Sein Vater hieß Invo Tanaar. Bestand also tatsächlich ein Zusammenhang zu Ansu? Diesen Namen konnte Zamorra nirgends in Jurgs Erinnerungen finden. Er beschloss, einen Versuch zu wagen.
»Entschuldige… Vater«, sagte er in der ihm fremden Sprache. Lemurisch! »Ich war etwas - verwirrt. Ich hatte einen sonderbaren Traum. Von einer Frau, deren Haut so golden glänzte wie deine. Sie hieß Ansu.«
»Ansu?« Invo runzelte die Stirn. Offenbar maß er dem Traum seines Sohns eine Bedeutung bei oder versuchte sie zumindest zu entdecken. »Das sagt mir nichts. War es vielleicht Sennja, die du gesehen hast? Sie ist die Einzige, die ich kenne, der die Götter den Priesterschimmer verliehen haben.«
Sennja war Jurgs Schwester, wie Zamorra in dessen Erinnerungen erkannte. Am liebsten hätte er sich gegen die Stirn geschlagen. Wenn ihn die Zeitbrücke bis zur Entstehung der Erbfolge geführt hatte, steckte er gerade etwa 35.000 Jahre in der Vergangenheit. Ein paar Tausender mehr oder weniger spielten da kaum eine Rolle. Auf jeden Fall dürfte Ansus Geburt noch weit in der Zukunft liegen. Womöglich war sie Invos Nachfahrin. »Egal. Es war sicher nur ein Traum.«
Bewusst öffnete Zamorra den Geist und ließ sich von den fremden Erinnerungen durchdringen. Er sah sich in seinem Wirtskörper mit Ursa und Sennja den Tempel verlassen. Er sah seine Rückkehr und den Einbruch in Aryen Chluhe'chlyns Haus. Sofort fiel Zamorra die Ähnlichkeit der Aussprache mit dem Namen Llewellyn auf.
Trauer legte sich in Invos Miene. »Wir haben versagt! Wir konnten ihn nicht aufhalten.«
Der Dämonenjäger schüttelte den Kopf. »Ich habe versagt! Hätte ich nicht nach dem Schwert gegriffen, hätte er uns nicht bemerkt.« Wieder glaubte er, Merlins Worte zu hören. Diese Spanne musst du nutzen. Lerne, wie die Erbfolge begann. Zieh deine Schlüsse daraus. Aber wie sollte er das anstellen? »Noch ist es nicht zu spät, Vater!« Er setzte sich auf dem Bett auf und stellte die Füße auf den Boden. Die Fliesen waren angenehm warm. Gab es hier etwa eine Fußbodenheizung? Ein Husten schüttelte seinen Körper durch, kaum dass er saß. Eine Schraubzwinge schien ihm die Brust zusammenzupressen, auch wenn er keine Schmerzen spürte. Er schmeckte Blut, schluckte es aber sofort hinunter. »Wie lange war ich - bewusstlos?«
»Nicht lange. Wenige Stunden nur.«
»Ist die Sonne schon aufgegangen?«
»Nein.«
»Dann müssen wir zu den Ramesch-Höhlen gehen. Wir müssen dabei sein, wenn die Erbfolge beginnt.«
»Die Erbfolge?«
Zamorra biss Jurg auf die Lippen. »Äh, ja, so habe ich das für mich genannt. Ich weiß auch nicht, warum.«
»Erbfolge.« Invo wiederholte das Wort, als wolle er dessen Klang kosten.
Eine Hitzewelle durchpflügte den Meister des Übersinnlichen. Hatte er alleine dadurch, dass er diesen Begriff genannt hatte, eine Änderung an der Vergangenheit vorgenommen? Er schenkte einem eigentlich toten Körper noch einige Stunden Lebenszeit. Musste er nicht auch dadurch ein Zeitparadoxon auslösen? Oder war all dies schon geschehen? Seine Erfahrungen, die er mit Zeitabenteuern gemacht hatte, zeigten ihm, dass die Zeit ein launisches, unberechenbares Biest war. Manchmal hatte er den Eindruck, als wehre sie sich gegen jede Beeinflussung, wohingegen sie manchmal auch zu Paradoxa bereit war. Offenbar gehorchte sie nicht immer den gleichen Gesetzen. Oder der Mensch besaß nicht genug Verstand, diese Gesetze zu begreifen.
So, wie er Jurgs Erinnerungen interpretierte, würde die Erbfolge also in den Ramesch-Höhlen ihren Anfang nehmen. Zamorra musste dabei sein, um zumindest herauszufinden, welchen Zweck sie ursprünglich verfolgte. Gab es schon eine Quelle des Lebens ? Erschuf der Erbfolger unsterbliche Kämpfer für das Böse? Der Gedanke erschien dem Professor absurd.
Egal was er herausfand, er musste vorsichtig sein!
»Du hast recht, mein Sohn. Noch ist nichts verloren! Wir hatten Glück, dass Aryen offenbar noch nie in meinem Tempel war und mich deshalb nicht erkannt hat. Doch ich bin mir sicher, ab morgen, wenn er den Pakt mit dem Dämon geschlossen hat, wird er uns suchen. Deshalb muss dem heute noch ein Ende gesetzt werden. Aber ich gehe alleine! Du bist verletzt und brauchst deine Ruhe.«
Nicht gut. Gar nicht gut!
Zamorra sah seinen Vater lange an. »Nein! Es ist meine Schuld, dass dein erster Versuch misslang. Bitte verwehr mir nicht die
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