0933 - Der erste Erbfolger
Oder würde er diesen Schrecken erst auslösen durch seinen Versuch, ihn zu verhindern?
Es war zum Verzweifeln! Wie sollte man bei solchen Dingen eine vernünftige Entscheidung fällen?
Ihm blieb nur eine Möglichkeit: Er musste mehr herausfinden. Über die Entstehung der Erbfolge, über ihren Zweck. Wenn er genug wusste, würde er instinktiv handeln müssen - und hoffen, dass er das Richtige tat.
Ein dumpfes Pochen zog sich durch seine Brust, strahlte von der tödlichen Wunde aus und verstummte. Was war das? Ein Zeichen, dass sein Wirtskörper langsam an Kraft verlor.
Deine Seele wird die Lebenszeit dieses Körpers um einige Stunden verlängern. Diese Spanne musst du nutzen.
Ja, Merlin hatte recht. Er musste sich beeilen.
»Lass uns aufbrechen, bevor es zu spät ist«, sagte er deshalb zu Invo.
»Wohin aufbrechen?«, sagte eine Stimme hinter ihm. Zamorra fuhr herum und sah einen kleinen, jungen Mann mit lustig funkelnden Augen. Jesof Treul, wie ihm Jurgs Erinnerungen verrieten. »Kann ich mitkommen? Ihr braucht doch sicher noch eine starke Hand, die ordentlich mit anpacken kann.« Ein hechelndes Kichern ertönte.
»Nein, Jesof«, erwiderte Invo. »Danke für dein Angebot, aber wir brauchen niemanden.«
»Ich würde auch ganz bestimmt nicht stören. Ich könnte eure Sachen tragen. Oder euch den Weg mit lustigen Liedern verkürzen. Oder…«
»Jesof! Bitte geh in deine Gemächer. Wir sehen uns morgen.«
Der Tempelbursche machte eine schmollende Miene, murrte noch ein paar Sekunden, zog sich dann aber doch zurück.
Invo rüstete sich selbst und Zamorra mit je einem Dolch und einem Dhyarra aus. Bei dem Sternenstein - oder Gedankenkristall, wie ihn die Lemurer nannten - zögerte der Professor zunächst, ihn an sich zu nehmen. Hing die Fähigkeit, ihn zu benutzen, von seinem Para-Potenzial ab oder von dem seines Wirtskörpers? Bestand die Gefahr, dass er geistig ausbrannte?
Man kann auch zu vorsichtig sein , dachte er sich schließlich und ergriff den blauen Kristall.
Zamorra warf noch einen togaähnlichen Umhang über seinen geborgten Oberkörper, dann verließen sie den Tempel durch einen verborgenen Hinterausgang und betraten das nächtliche Hysop.
Wie von selbst schüttete Jurgs Gehirn Informationen aus. Manche klar, manche verschwommener. Allerdings existierten auch Löcher in den Erinnerungen - und Zamorra hatte den Eindruck, dass sie wuchsen! Ein Vorbote des körperlichen Verfalls seines Wirtskörpers?
Plötzlich wusste er, dass Hysop die Hauptstadt Lemurias war, dass rund 500 Kalera Menschen eine Heimat darin fanden und dass Hysop wie alle größeren Städte ihre Energie vom Lebensspender erhielt. Er wusste allerdings nicht, wie viele Städte es überhaupt gab, wie viel Menschen 500 Kalera waren (wenn er auch ahnte, dass es sich um eine sehr große Maßeinheit handelte) und wer oder was dieser Lebensspender war.
Hysop wirkte auf Zamorra äußerst fremdartig. Ein bläulicher Schimmer hüllte die Stadt in einen schwummrigen Schein. Auch wenn Sam Cooke und andere von einem Blue Moon gesungen hatten, konnte der Professor nicht an etwas Derartiges glauben und hob deshalb den Kopf, um zu sehen, woher das schwache Licht stammte. Was er entdeckte, raubte ihm fast den Atem. Tatsächlich hätte er weniger Schwierigkeiten gehabt, sich einen blauen Mond vorzustellen, als einen Dhyarra-Kristall dieser Größe! Das musste der Lebensspender sein!
Der Meister des Übersinnlichen konnte nicht abschätzen, in welcher Höhe der gigantische Sternenstein schwebte. Wie eine Kuppel oder Krone überspannten drei riesige Streben die gesamte Stadt und trafen sich weit über Hysops Zentrum in eben jenem Sternenstein unvorstellbaren Ausmaßes. Unwillkürlich musste Zamorra an Nazarena Nerukkar denken, die ERHABENE der DYNASTIE DER EWIGEN. Was würde sie darum geben, einen Dhyarra dieser Größe in ihre Gewalt zu bekommen? Dafür gäbe sie vielleicht sogar die Jagd nach Ted Ewigks Machtkristall auf.
Was mochte in seiner Zeit wohl aus dem Stein geworden sein?
Zamorra erinnerte sich an das Buch, mit dessen Hilfe er nach Lemuria gereist war. Er hatte geglaubt, auf dem Umschlag eine dreistrahlige Sonne entdeckt zu haben. Nun jedoch wurde ihm klar, dass es sich dabei um eine stilisierte Darstellung des Lebensspenders handeln musste.
Die Häuser der Stadt gehorchten einer völlig anderen Architektur als die zu Zamorras Zeit. Und doch unterschied sie sich von dem Lemuria, das er vor langen Jahren gesehen hatte. Dort war das
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