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0933 - Der erste Erbfolger

0933 - Der erste Erbfolger

Titel: 0933 - Der erste Erbfolger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Fröhlich
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Möglichkeit, diese Schuld zu begleichen.«
    Sekundenlang schwieg Invo. »Na gut«, sagte er schließlich.
    »Nur eines noch, Vater. Versteh mich nicht falsch, aber du möchtest jemanden aufgrund einer Vision töten. Du hast bereits schwere Verbrechen aus dem gleichen Grund begangen.« Zamorra strich sich über den Kopf und fühlte Stoppeln. »Wenn wir so etwas tun, will ich die Vision auch sehen. Kannst du sie mir zeigen?«
    Invo zögerte einen Augenblick, dann nickte er. »Ja, du sollst wissen, warum wir unser Leben riskieren. Komm!«
    Der goldhäutige Priester führte Zamorra hinunter in den Meditationsraum. Eine kreisrunde Einlassung im Boden zog Zamorras Aufmerksamkeit auf sich. Das Becken der Weisheit! Noch interessanter fand er die brusthohe weiße Säule, an deren Kopfende ein blauer, faustgroßer Kristall mit dem Stein verschmolzen war. Aus Jurgs Erinnerungen wusste er, dass man ihn Gedankenkristall nannte, doch für Zamorra gab es keinen Zweifel: Er sah einen Dhyarra vor sich oder zumindest eine Abart davon. Gehörten die in Lemuria etwa zu den Gebrauchsgegenständen?
    »Ich habe die Vision durch den Borlius-Trank empfangen, aber ich werde versuchen, sie im Becken der Weisheit sichtbar zu machen. Und nun muss ich mich konzentrieren.«
    Invo Tanaar legte beide Hände auf den Dhyarra und schloss die Augen. Die Funktionsweise der Sternensteine war offenbar ähnlich wie zu Zamorras Zeit, doch schienen die alten Lemurer noch weitere Anwendungsgebiete dafür gefunden zu haben. Der Meister des Übersinnlichen vermutete, dass die Kristalle nicht allzu hochstufig sein konnten. Natürlich gab es sicherlich auch da Unterschiede, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass man zur Raumbeleuchtung mittels Dhyarra-Splitter-Lampe Steine verwendete, deren Benutzung ein entsprechend hohes Para-Potenzial voraussetzte.
    Plötzlich begann das Wasser im Becken zu brodeln. Nebel stieg auf und formte eine Szenerie, die wohl Invos Vision darstellte. Der Priester stöhnte leise auf.
    Es waren Bilder des Schreckens, die sich Zamorra zeigten. Kriegsähnliches Gemetzel zwischen Menschen und Dämonen, bei dem sich die Höllischen immer lachend zurückzogen, kurz bevor sie den Menschen die endgültige Niederlage beibrachten. Verwüstete Landstriche, von Leichen übersät - und von Leichenfressern. Mutierte Geier, aber auch Ghouls labten sich an dem Festschmaus. Erdbeben, die schartige Wunden in den Boden rissen. Aus den Spalten krochen bizarre Kreaturen. Explosionen, am Horizont aufsteigende Detonationspilze.
    Kurz: der Sieg der Hölle über die Menschen.
    Trotzdem war es nicht die Intensität der Eindrücke, die in Zamorra das Grauen aufkochen ließen, denn die Szenerie wirkte auf ihn so fremdartig und fern wie ein Gemälde von Hieronymus Bosch. Aber die Visionsbilder besaßen eine Gemeinsamkeit, die Zamorra fassungslos schlucken ließ. Über all dem Grauen stand ein Mann in einer Art Tempel. Er trug ein schwarzes, luftiges Gewand, das sich im Sog der ihn umtanzenden Energie aufbauschte. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck sah er auf die Zerstörung, das Chaos und das Leid hinab.
    Der Professor ahnte - nein! Er wusste es mit absoluter Gewissheit! -, dass dieser Mann für all den Schrecken verantwortlich war. Zu Zamorras Entsetzen war ihm das Gesicht des Mannes nur allzu vertraut. Auch wenn er die Haare erheblich länger trug, der Körper mit Muskeln bepackt war und einige Tätowierungen die Haut zierten, gab es für den Meister des Übersinnlichen keinerlei Zweifel: Vor sich sah er Rhett!
    ***
    »Das ist Xuuhl«, hauchte Invo Tanaar.
    Da war er wieder! Dieser Begriff, den Merlin damals gehört hatte, als das Buch mit der Zeitbrücken-Magie vor ihm auf den Tisch fiel.
    »Woher kennst du diesen Namen?«
    »Die Vision hat ihn mir verraten. Auch in Aryens Haus haben wir ihn erlauscht. Der Dämon hat ihn genannt. Erinnerst du dich nicht?«
    »Äh, ja. Doch.«
    In Zamorras Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was sah er da vor sich? Die Zukunft? Das Gesicht der Welt in wenigen Jahren? Oder eine mögliche Zukunft aus Invos Sicht, die eingetreten wäre, wenn die Erbfolge über all die Jahrtausende böse geblieben wäre?
    Noch vor wenigen Augenblicken war sich Zamorra sicher gewesen, dass eine Änderung der Vergangenheit nicht infrage kam, dass er das Chaos nicht riskieren konnte, das mit einem Zeitparadoxon einhergehen mochte. Doch konnte das schlimmer sein als das, was er gerade gesehen hatte? War das Chaos diesem Schrecken nicht vorzuziehen?

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