0934 - Der Schlüssel zur Quelle
für ihre »kleine, rebellische Fragestunde«, wie Jenny ihr Think America gern nannte, zu interessieren. Sollte sie es schaffen, von einem dieser sogenannten Networks aufgenommen zu werden, hieß das landesweite Ausstrahlung, von Küste zu Küste. Fester Sendeplatz, feste Verankerung im Alltag des amerikanischen Publikums. Der Jackpot.
Mehr Zuschauer, mehr Geld, mehr Möglichkeiten.
Und mehr Arbeit.
Jenny mochte es, zu arbeiten. Sie brauchte den Trubel, die Hektik und die Energie, die in einem guten, vollen Tag steckten. Sie lenkten sie davon ab, über damals nachzudenken. Irgendwann - so hoffte sie inständig, wann immer sie zitternd, schreiend und schweißgebadet in Mikes schützenden Armen aufwachte - ließ die Arbeit sie vielleicht sogar die Träume vergessen.
Sofern sie ihr bis dahin nicht neue eingebrockt hatte…
Jenny glaubte ihren Augen kaum, als sie das Besuchszimmer der Huntsville Unit betrat. Der schmucklose Raum, in dem eigentlich zwanzig Tische nebst Bänken standen, an denen sie eine atmosphärische Einstellung der Insassen hatte drehen wollen, glich einem Schlachtfeld. Hünenhafte Männer in orangefarbenen Sträflingsoveralls sprangen wild umher, tanzten auf den Möbelstücken, warfen die Köpfe in die Nacken und grölten aus vollen Hälsen, während uniformierte Wachleute mit Prügeln aus Hartgummi und mit surrenden Elektroschockern zwischen ihnen hin und her eilten und mit vollem Körpereinsatz versuchten, die verlorene Ordnung wieder herzustellen.
Chaos. Und mittendrin saß ein Mann, der sich gar nicht regte.
Nein , korrigierte sie sich, als sie näher trat. Er wirkt nur so. Fast, als habe er mit all dem gar nichts zu tun.
Es war ein schmächtiger Afroamerikaner von vielleicht achtundzwanzig Jahren. Kahl rasierter Schädel, sorgfältig gestutzter Kinnbart; eine lange Narbe führte von der Stirn über die linke Wange bis zum Hals. Orangefarbener Overall. Unter normalen Umständen wäre der Typ ihr schon nicht geheuer gewesen, nun aber… faszinierte er sie nahezu. Vor allem sein Gesicht.
Jeder Muskel in seinem drahtigen Körper schien verkrampft zu sein. Spuckebläschen zerplatzten auf seinen Lippen, Rotz lief ihm aus der Nase, und seine Augen waren derart in den Höhlen verdreht, dass es Jenny eiskalt den Rücken herunterlief.
»Ach, Gott. Little!« Hank R. Rooney III., Leiter des Hauses und ihr Fremdenführer für den Vormittag, atmete scharf ein. Dann griff er zum Funkgerät an seinem Gürtel. »Medizinischer Notfall in Besuchsraum B. Little hat wieder eine seiner Spasmen.«
Jenny und Mike hatten - nach langen Telefonaten voller Drohungen und Versprechen - doch noch den besprochenen Einlass in die Unit gewährt bekommen. Um die Wogen zu glätten, die durch sein stupides Personal entstanden waren, hatte sich der Anstaltsleiter sogar persönlich berufen gefühlt, ihnen alles zu zeigen und die Vorzüge seines Hauses wieder und wieder hervorzuheben. Und nun das.
Rooney hatte seinen Funkspruch kaum beendet, da flog die hintere Tür des Zimmers auch schon auf, und zwei Pfleger in weißen Kitteln eilten herein, Spritze im Anschlag. Gekonnt huschten sie zwischen den Rabauken und den Wächtern hindurch und zu ihrem wehrlosen Patienten. Diese Männer wussten genau, wohin sie sich zu wenden hatten. Sie machten das sichtlich nicht zum ersten Mal.
»Ein Epileptiker«, erklärte Rooney lächelnd und fuhr sich mit der Rechten über das militärisch kurze grau melierte Haar. »Omar Little ist schon eine ganze Weile bei uns, da kennt sich das medizinische Personal aus. Der fängt sich wieder, ohne bleibende Schäden.«
»Aussetzer.« Mike nickte. »In meiner Kindheit hatten wir einen Nachbarsjungen, der Epileptiker war.«
»Dann kennen Sie das ja«, erwiderte Rooney. »Wenn Sie noch ein paar Minuten ausharren könnten, haben meine Mitarbeiter die Meute wieder beruhigt. Dann steht Ihren Aufnahmen nichts mehr im Wege.«
Jenny unterdrückte ein Schmunzeln. Hatte der Stiernacken also nicht bemerkt, dass die Kamera, die Mike lässig in der Linken baumeln ließ, die ganze Zeit schon lief.
Wärter strömten in den Raum, mit harten Blicken und harten Gesichtern. Geschultes, erfahrenes Personal. Es kostete sie nicht einmal eine Minute, die übrigen Gefangenen wieder auf ihre Sitze zu beordern und zum Schweigen zu bringen. Alle bis auf Little.
»… rbfolger… Quelleisschwach…«
»Was murmelt der da?« Jenny runzelte die Stirn. Noch immer kümmerte sich das Weißkittelduo um den schlanken Farbigen,
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