0935 - Aibons klagende Felsen
sah aus wie eine Siegerin. Sie stand in einer Welt, die noch normal aussah, sich aber trotzdem verändert hatte. Die Realität kam den beiden Gangstern völlig verändert vor.
Sie hatten sich zurückgezogen. Etwas anderes war in die normale Zeit eingetaucht. Nicht nur der Anblick dieser Kämpferin ließ sie staunen. Es war die gesamte Umgebung, die Joanna und letztlich auch sie einrahmte. Da hatte sich die Luft verändert. Es gab keine Schlieren. Es gab keinen Nebel mehr!
»Wenn ihr wollt, dann kommt!« Joanna hatte die Männer angesprochen und deren Geldgier erwähnt. Die aber war den Kidnappern vergangen. Sie wollten jetzt ihre Ruhe und sich zurückziehen.
Zudem dachten sie an die beiden Männer aus dem Hotel.
Wahrscheinlich Polizisten, die sich ihnen an die Fersen geheftet hatten.
»He, hör zu«, sagte Gregg. »Hör genau zu. Wir haben dir nichts getan, okay? Wir sind nur noch einmal zurückgekommen, um zu sehen - na ja…« Er wußte nicht, wie es weitergehen sollte. »Ich meine, uns hat die Umgebung hier gefallen. Wir wollten unsere Ruhe haben, verstehst du das? Einige Tage ausspannen, Urlaub machen, das ist alles. Nicht mehr und nicht weniger. Du mußt das falsch gesehen und verstanden haben. Du bist frei, Joanna. Echt frei. Du kannst hingehen, wohin du willst. Keiner von uns wird dich aufhalten wollen und…«
»Das werdet ihr auch nicht schaffen.«
»Ist klar, Joanna, ist klar.«
»Ich bin nicht Joanna«, protestierte sie. »Diesen Namen habe ich abgelegt. Ich bin Svenja, versteht ihr? Svenja. Joanna - das war einmal, das ist vorbei und vergessen. Aber nicht vergessen habe ich, was ihr mir angetan habt. Es war keine Freude für mich, von euch festgehalten zu werden. Ihr habt mich vergewaltigt, ihr Schweine!«
Die Männer schwiegen. Wie die Tiere waren sie über sie hergefallen und hatten - wie zum Hohn immer wieder getönt: Davon stirbt man doch nicht!
Diese Worte wiederholte Svenja jetzt und sagte: »Ihr seht, daß ich nicht gestorben bin. Aber eure Taten haben bei mir Wunden hinterlassen, tiefe Wunden! Ihr hattet von eurem Spaß gesprochen, doch jetzt bin ich an der Reihe. Jetzt werde ich Spaß haben, denn hier ist meine Welt. Ihr hört das Singen der Felsen, was in Wirklichkeit kein Gesang ist, denn in diesem Gestein stecken die Seelen der Toten, die ihre Qualen hinausschreien. Ihre Körper sind vermodert, aber die Seelen werden nie Ruhe finden. Aibon hat seine Fühler ausgestreckt. Dieses Reich ist mächtiger als die Menschen, und ich habe gespürt, daß ich jemand bin, der damals in einer anderen Person mit dabei war, als das Schiff gegen die Klippen geworfen wurde und zerschellte, um dann von Aibon als Beute geholt zu werden. Ihr werdet es nicht schaffen. Ihr hättet fliehen sollen, jetzt aber ist es zu spät.«
»Was willst du tun?« fragte Ramon flüsternd.
»Mich rächen!«
»Wofür, du lebst!«
»Ja, ich lebe. Aber ich habe die Vergangenheit nicht vergessen, tut mir leid für euch.«
Ramon schaute auf das Schwert, dann blickte er seinen Kumpan an und sah dessen Nicken.
Was immer Ramon Infana auch vorhatte, Gregg würde damit einverstanden sein, und der dunkelhaarige Mann verzog die Lippen zu einem kalten Lächeln.
»Glaubst du, daß dein Schwert schneller als unsere Kugeln ist? Die Magazine sind wieder gefüllt.«
Er hob seine Waffe hoch. »Du hast uns gedroht, nun sind wir an der Reihe!«
Joanna/Svenja lächelte. »Willst du tatsächlich schießen?«
»Ja.«
»Dann tu es!« Sie lachte lauthals und drehte sich zugleich um, weil sie die beiden Männer stehenlassen wollte. Sie ging, als wäre nichts geschehen, auf das Wasser zu. Hinein in die dünnen, anrollenden Wellen, die sehr bald schon ihre Füße umschmeichelten.
Gregg kümmerte sich nicht um die Frau. Er hatte sich geduckt, weil er das Jammern der Seelen als Last empfand. Es hallte in seinen Ohren wieder; er befürchtete, verrückt zu werden, aber er wußte auch, daß sie nicht allein in der Nähe waren.
Deshalb schaute er sich um.
Die beiden Männer waren nicht zu sehen. Sicherlich turnten sie noch zwischen den Felsen herum, die ihnen hin und wieder eine sichere Deckung gaben. Es war klar, daß sie sich später um sie kümmern mußten, wenn die Frau ausgeschaltet war.
Warum schoß Gregg nicht?
Ramon wunderte sich. So unentschlossen kannte er seinen Kumpan gar nicht. Wenn es hart auf hart kam, hatte er den Finger schnell am Drücker, aber Gregg stand da, zielte auf den Rücken der Frau, die im Wasser stand. Wellen
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