0935 - Tochter der Dunkelheit
Irrwische gegrillt oder Zarkahr die Flughäute zusammengebunden? Hast du Stygias Gehörn versilbert oder Fu Longs Zähne?«
»Oder Astaroths Hintern«, murmelte Vassago, und es hörte sich fast so an, als hätte er einen Sinn für Humor. »Von Grohmhyrxxas Fliegenkolonie ganz zu schweigen.«
»Ich sag nix!« Kassandra verschränkte die Arme vor der Brust und ließ ihre Blicke unsicher von Vassago zu Carrie Ann Boulder streifen. Ideen hatte die Alte! Aber das mit den Flughäuten zusammenbinden oder dem Gehörn färben würde sie sich merken. Manchmal kam es Kassandra vor, als würde ihre Mutter aus der Hölle stammen, Menschen kamen nicht auf solch gefährliche Ideen.
»Sandy, du bist erst etwas mehr als ein Jahr alt. Aber glaubst du im Ernst, du würdest geschont werden, wenn dich jemand bei deinen Streichen erwischt?«, gab Carrie zu bedenken.
Kassandra wiegte den Kopf hin und her und öffnete den Mund mehrere Male lautlos, um ihre Mutter zu imitieren. Als Vassago das sah, schlug er seiner Tochter einmal auf den Hinterkopf. Es gab ein kurzes, trockenes Geräusch. Kassandra fuhr zusammen, hielt sich die getroffene Stelle mit beiden Händen und blickte ihren Erzeuger böse an, sagte jedoch kein Wort.
»Danke, Vassago«, sagte Carrie, die den Vorfall aufgrund der Geräusche richtig interpretierte. »Aber das hättest du nicht zu machen brauchen. Ich weiß, dass sie mich nachäfft, wenn ich ihr Vorhaltungen mache.«
Kassandra erstarrte neben ihr, wie ein Jagdhund, der einen Hasen gewittert hatte. Dass Carrie von dem Imitieren Kenntnis hatte, hatte sie wiederum nicht gewusst.
»Du sollst mich nicht schlagen!«, zischte sie Vassago an. »Das tut verdammt weh und ich mag das gar nicht.«
»Ich strafe dich auf die Art und Weise, die ich für richtig halte«, stellte der Erzdämon klar. »Beim nächsten Mal kann ich auch noch ein wenig länger warten, ehe ich eingreife. Mal sehen, was dann mit dir geschieht.«
Zum zweiten Mal innerhalb einer Minute fuhr Kassandra zusammen. Carrie hingegen wollte erst abwarten, ob sie so viel wie möglich aus dem Gespräch erfuhr.
»Wie? Du bist nicht erst in letzter Sekunde erschienen, um mich zu retten?«, empörte sich die Kleine. Sie hielt beide Hände gegen die Hüften gestemmt und blitzte Vassago mit den Augen an. »Hast du extra so lange gewartet, weil du mir eine Abreibung gegönnt hast, oder wolltest du, dass ich für mein Eindringen und das Zerstören des Kristalls bestraft werde, damit du das nicht machen musst? Da hätte dich besser gleich wieder jemand als Spiegel missbrauchen sollen.«
Damit hatte sie ein heikles Thema angesprochen. Vassago diente zwei Herren, dem Guten ebenso wie dem Bösen. Er hoffte seit Äonen auf Erlösung und war deshalb bemüht, nicht nur böse zu sein, sondern auch Gutes zu tun, um sein positives Punktekonto zu erhöhen. Dadurch wurde er ab und zu zum Helfer diverser Weißmagier.
Der Spiegel des Vassago war eine Wasserfläche beliebiger Größe - das konnte sowohl ein Ozean als auch eine Kaffeetasse oder eine Pfütze sein -, die durch die Beschwörung Vassagos in eine Art Spiegel verwandelt wurde, in welchem die Dinge sichtbar wurden, die der Beschwörende sehen wollte, oder die Vassago ihn sehen ließ. Es wurde sogar schon hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, dass gewisse Chronisten den Erzdämon in der Flüssigkeit eines Nachttopfs erscheinen ließen, was Vassago selbstverständlich weit von sich wies.
Doch es war ein höllenweiter Unterschied, ob man Vassago als Dämon selbst anrief oder seinen Spiegel. Carrie und ihre Freundinnen hatten vor Jahren fälschlicherweise Vassago selbst angerufen - die Folgen davon musste Carrie heute noch ertragen. Jede Beschwörung verlangte eine Gegenleistung des Beschwörers. Daran hatten damals weder Carrie noch ihre drei Freundinnen gedacht.
Aber Kassandra hatte auch an einem Tabu gerüttelt. Der Anführer einer Dämonensippe galt als Maß aller Dinge und Kritik an seiner Handlungsweise zog in jedem Fall eine Strafe nach sich.
Wiederum schien Vassago zu wachsen. Seine Präsenz füllte die gesamte Höhle aus, das bemerkte sogar Carrie. Sie wusste, was nun folgen musste, und stolperte einige Schritte zurück, um hinter einem Felsblock vermeintlichen Schutz zu finden. Doch dieses Mal umhüllte Vassagos Magie nur ihn und seine Tochter. Kassandra wurde in die Höhe gehoben, trockener Wüstenwind umwirbelte ihren mageren Körper. Sie hatte Mühe beim Atmen und konnte die Blicke nicht von ihrem Vater
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