0935 - Tochter der Dunkelheit
Bühnenkostüm, aber alles andere konnte sie vergessen. Sie würde nie mehr wieder vor Truckern tanzen und sie anmachen, sie würde nie mehr mit einem Menschen reden.
Und sie würde nie mehr wieder sehen…
Sie konnte noch nicht einmal mehr über ihre Dummheit und das grausame Schicksal, das sie erlitten hatte, weinen. Selbst das hatte Vassago ihr genommen, zusammen mit dem Augenlicht.
Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als auf andere Wesen angewiesen zu sein. Und hier in der Hölle war es noch um einiges schlimmer als auf der Erde. Sobald einer der Dämonen oder ihrer Helfer bemerkten, dass sie hilflos war, war sie ihnen ausgeliefert. Das war mit einer der Gründe, weshalb Vassago sie vor allen versteckte.
Nur Vassago und ihre gemeinsame Tochter Kassandra durften sie sehen. Und die kleine Kassandra sah manchmal für ihre Mutter mit. Auch wenn die kleine Dämonin zu allen anderen rotzfrech war, so liebte sie ihre Mutter über alles.
Sandy, wie Carrie ihre Tochter manchmal nannte, war der einzige Lichtblick im Leben der ehemaligen Tänzerin - auch wenn sie diesen Lichtblick paradoxerweise nicht sehen konnte. Sie war sich des Wortspiels sehr wohl bewusst, aber es war ihr gleichgültig.
Sie wünschte sich vom ersten Augenblick an, dass sie möglichst schnell wieder von hier fortkommen würde, aber einen Dämon wie Vassago konnte sie nicht einfach so übertölpeln. Vassago war der dritte Geist der höllischen Heerscharen und Herr über 26 Legionen niederer Geister. Niemand außer Agares, dem zweiten Geist, war so erfahren wie Carries Herr und Meister. Niemand sonst hatte so viele Ministerpräsidenten LUZIFERs und so viele Fürsten der Finsternis kommen und vergehen sehen…
Obwohl Vassago sich nicht in die erste Reihe drängte, so war an ihm doch nicht vorbei zu kommen, wenn es um höllische Belange ging. Das hatten alle Vorgänger von Stygia und Fu Long schon nach kurzer Zeit mitbekommen und es bitter bereut, wenn sie sich den Dämon zum Feind machten.
Auch Carrie konnte ein Lied von Vassagos Hartnäckigkeit singen. Er war ein Jäger und besaß sowohl Geduld als auch das untrügliche Gefühl, in welcher Sekunde er zuschlagen musste, um den größtmöglichen Effekt zu erreichen.
Auf ihre Verhältnisse umgesetzt hieß das, dass er sie innerlich zerbrochen hatte. Vom ersten Tag an hatte er sie gedemütigt und ihr bei Nichtbeachtung seiner Befehle mit dem Bad im Tümpel der Seelen gedroht.
»Seelenhalde Mitte wäre ideal für dich, meine Liebste«, hatte er dann stets gebrummt. »Die Peinteufel sind ganz gewiss verrückt nach dir… Und ihre Flammenpeitschen freuen sich auch schon sehr auf dich.«
Das sagte er so, als würden die Flammenpeitschen ein Bewusstsein enthalten. Seit Carrie miterlebt hatte, wie ihre ehemalige Freundin Sharon Tucker durch eine der Peitschen ausgelöscht wurde, hatte sie einen Riesenrespekt vor diesen ultimativen Waffen.
Bei Anwendung der Peitsche spritzten Flammen aus dem mehrschwänzigen Ende der Peitschenschnur heraus und zündeten alles an, auf was sie trafen. Ein unlöschbarer Brand war die Folge, ein Brand, der sowohl den Körper als auch die Seele vernichtete. Selbst bei sofortiger Amputation eines getroffenen Körperglieds wurde der Rumpf von den Flammen verzehrt, obwohl er von dem Brand noch gar nicht betroffen war.
Carrie konnte sich nichts Heimtückischeres vorstellen. Aber das war ihr mittlerweile egal, wie fast alles andere. Seit sie blind war, lebte sie nur noch in Furcht; sie hatte allen Lebensmut verloren. Sie hoffte nur, dass sie schon sehr bald sterben würde, dabei war sie erst knapp 27 Jahre alt.
»Zu jung zum Sterben, zu alt zum Überleben« , flüsterte sie in Abwandlung des Spruches »Too old to Rock 'n roll, too young to die« . Das Echo der eigenen Stimme war der einzige Anker, den sie in dieser abstoßenden Welt besaß.
Nur einmal noch die Foo Fighters hören , wünschte sie sich. Bei der Post-Grunge-Band handelte es sich um ihre Lieblingsgruppe. Entweder Long Road to ruin oder Stranger, things have happened genießen. Und nicht ständig alles, was mich an die Erde erinnert, in Gedanken zu wiederholen. Das macht mich noch verrückt!
Wieder hing sie ihren schwermütigen Gedanken nach. Selbst wenn sie durch eine Laune des Schicksals wieder freikäme, so würde kein Psychiater oder Psychologe jemals ihr Trauma lindern können. Ihre Seele war für alle Zeit gebrandmarkt.
Einfach umfallen und auf der Stelle sterben können , wünschte sie sich. Als
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