0936 - Schattentheater
Sie hatte gar nicht bemerkt, dass die Musik aufgehört hatte, starrte vor sich hin und zuckte heftig zusammen, als sich Ieyasu Koichi höflich vor ihr verbeugte.
Nun, es wäre sicher angemessen gewesen, wenn er die Maske vor der Begrüßung abgenommen hätte , dachte Minamoto-san ein wenig vorwurfsvoll und sagte auf Japanisch zu seinem Freund: »Vielleicht sollten Sie das Dämonengesicht ablegen, Ieyasu-san. Madame Deneuve ist einen solchen Anblick sicher nicht gewohnt. - Madame, darf ich Ihnen meinen alten Freund, den Schauspieler Ieyasu Koichi, vorstellen?«, fügte er dann auf Französisch hinzu.
Aber Julie Deneuve hatte sich schon gefangen. Eines ihrer Wangengrübchen zeigte sich und sie schüttelte dem Mimen freundlich die Hand. »Entschuldigen Sie bitte, Ieyasu-san, aber ich war ganz fasziniert von Ihrer Darbietung.«
Koichi Ieyasu verbeugte sich kurz und dankte. Sein Französisch war ein wenig holprig. »Ich bin Madame sehr dankbar, dass Sie gekommen sind.«
Er wandte sich um und entließ seine Kollegen mit einem Klatschen und bat Minamoto-san und Madame Deneuve, ihm zu folgen. Erleichtert registrierte Minamoto-san, dass Julie Deneuve sich jetzt voll und ganz auf seinen Freund konzentrierte. Keine Geistesabwesenheit war mehr zu bemerken. Vielleicht hatte er sich nur getäuscht und die Dame war müde von der Reise?
Doch das allein war es nicht, das seine Unruhe dieser Französin gegenüber auslöste, das war Minamoto klar. Julie Deneuve selbst war eine offenbar sehr angenehme Person, die Vibrationen, die von ihr ausgingen, waren gleichmäßig und sicher. Doch etwas war da, was Masaburo Minamoto an ihr beunruhigte. Da war mehr gewesen als das, was normalerweise an einem Menschen zu spüren war. Etwas Gefährliches, Machtvolles, Entschlossenes, ja. Aber es wirkte auf ihn auch nicht… bösartig. Es ist nicht ganz normal, was ich da empfinde. Aber ich kann mir keinen Reim darauf machen.
Er folgte Julie Deneuve und dem Theaterdirektor und hörte aufmerksam zu, um im Notfall übersetzen zu können. »Ieyasu-san, Sie sagen, dass Ihre Gäste Opfer eines Dämons werden?«
»Das ist korrekt. Ich hätte Minamoto-san Sie nicht rufen lassen, wenn es nicht schon viermal vorgekommen wäre. Wir spielen dieses Stück - Die Einsiedlerin - einmal in der Woche. Morgen ist es wieder so weit. Es ist kein Stück für jedermann, seiner Handlung ist zwar leicht zu folgen, aber die Musik und die schauspielerischen - wie sagt man - Herausforderungen sind groß. Es kommen daher in der Regel sehr viele Kenner und Stammgäste, aber nur eine Handvoll Touristen.«
»Ieyasu-san hat einen großen Künstlernamen hier in Japan«, warf Minamoto jetzt ein. »Er ist sicher einer der Wenigen, die die Rolle der alten Frau und der Dämonin beherrschen. Das ist nicht selbstverständlich und zieht natürlich viele Kunstverständige an.«
»Danke, Minamoto-san, Sie sind zu freundlich«, meinte Ieyasu und öffnete seine Bürotür. »Bitte.«
Minamoto folgte ihm und wäre beinahe in Julie Deneuve hineingelaufen, die urplötzlich stehen blieb. Verwirrt sahen Ieyasu und Minamoto sich an. Sie folgten dem Blick der jungen Französin, die auf den Teich im Garten starrte, der durch die offene Schiebetür des klassisch anmutenden japanischen Hauses zu sehen war. Es war beinahe ein See, der viele kleine Buchten aufwies. Aufgehäufte Steine, mit weißem Sand bestreut und winzigen Kiefern bepflanzt, bildeten eine gezackte Brücke, die eine der Buchten vom Rest des Teichs abtrennte. Julie Deneuve sah die schmale Landbrücke an, als stünde ein Geist darauf. Für ein paar Sekunden wirkte sie wie eingefroren. Minamoto sah beunruhigt, dass das Unheimliche ihrer Ausstrahlung jetzt noch stärker zu sein schien als noch vor ein paar, Augenblicken. Er nahm sie vorsichtig am Arm.
»Madame Deneuve? Ist Ihnen nicht gut?«
Sie holte Luft. »Nein, nein, alles in Ordnung, Minamoto-san. Einen… einen wunderschönen Gartenteich, mit einer sehr… ungewöhnlichen Gestaltung haben Sie, Ieyasu-san!«, fügte sie hinzu und zwang sich sichtlich zu einem Lächeln. »Bitte, Ieyasu-san«, sagte sie dann und wandte sich wieder konzentriert dem Theaterdirektor zu. »Erzählen Sie mir von den Begegnungen Ihrer Gäste mit dem Dämon.«
Ieyasu warf Minamoto noch einen kurzen Blick zu, der besagte, dass Ausländer ja doch immer etwas verrückt waren. Minamoto zuckte hinter dem Rücken von Madame Deneuve kurz mit den Achseln. Ein merkwürdiges Benehmen , dachte Minamoto und setzte
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