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0936 - Schattentheater

0936 - Schattentheater

Titel: 0936 - Schattentheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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sich die Pumps auszog und in die bereitstehenden Filzpantoffeln schlüpfte, war schon fast Routine.
    »Madame, bitte folgen Sie meinem Enkel«, sagte die Dame sehr langsam, so als hätte sie lange kein Französisch mehr gesprochen. »Er bringt Sie zu Ihrem Zimmer. Danach wollen Sie sicher ein Bad nehmen. Ich werde es vorbereiten.«
    Nicole nickte und lächelte die Dame freundlich an. Sie war neugierig darauf, was sie erwartete. Doch bevor sie der Aufforderung folgte, wandte sie sich noch einmal Minamoto-san zu. »Ich danke Ihnen, ich glaube, hier wird es mir ganz hervorragend gefallen«, sagte sie.
    »Das hoffe ich doch«, meinte Minamoto freundlich. »Ich werde so frei sein und Sie um neunzehn Uhr abholen. Wir werden dann ins Kokuritsu-Theater fahren, damit wir die Vorstellung von Anfang an sehen können. Bitte erholen Sie sich gut bis dahin, Madame.«
    Nicole bestätigte die Uhrzeit und folgte dem Jungen, der sich als Yunichiro vorstellte, in ihr Zimmer.
    Den kurzen Austausch von leisem Japanisch zwischen Minamoto und seiner Tante hörte sie gar nicht mehr.
    ***
    Minamoto sah Julie Deneuve, die im dunklen Flur hinter seinem Großcousin Yunichiro herging, nachdenklich hinterher. Er fragte sich, ob es richtig gewesen war, sie hier bei seiner Tante unterzubringen, oder ob er diese nur in Gefahr brachte.
    »Du hattest recht, da ist etwas mehr um sie herum, als sie zugibt«, sagte Tante Ichiko jetzt. »Ich werde auf sie achten.«
    »Vielleicht ist es gar nichts«, winkte Minamoto ab, der sich plötzlich albern vorkam. Ausländer waren nun einmal ein wenig seltsam, das war so. Er hatte doch öfter mit ihnen zu tun und kannte dieses komische Gefühl der Fremdheit, warum machte er jetzt so ein Aufhebens darum? »Viele dieser Europäer haben etwas Aggressives an sich, als wüssten sie nicht mehr, was Höflichkeit und Zurückhaltung ist«, fuhr er fort, »aber das weißt du ja. Aber das hier ist irgendwie anders, auch wenn ich da wirklich nur auf mein Bauchgefühl höre. Sie scheint beunruhigt, als sei sie zu einem anderen Zweck hergekommen, als sie vorgibt. Dennoch kann ich in ihrem Benehmen nichts Unfreundliches finden, Tante. Ich bitte dich, achte auf sie und informiere mich, wenn dir etwas auffällt.«
    Die alte Dame verbeugte sich. »Vielleicht weiß sie selbst nichts über das, was ihr Inneres stört. Aber ich habe große Kenntnis in Geisterdingen. Geh beruhigt, Neffe.«
    Masaburo Minamoto lächelte. »Ich weiß, werte Tante Ichiko. Deshalb brachte ich sie zu dir. Möglicherweise können wir ihr helfen und damit auch meinem Freund Ieyasu-san.«
    »Ich werde mein Möglichstes tun, ohne dass sie es merkt«, meinte Ichiko Minamoto noch einmal leise. »Ich spüre, dass diese Frau auf der Seite des Guten kämpft. Doch da scheint wirklich etwas zu sein, das ihren Geist belastet. Vielleicht werden wir nicht herausfinden, was das ist, aber ich werde dafür sorgen, dass sie zumindest gut damit wird leben können.«
    Damit nickte sie ihrem Neffen noch einmal zu und verschwand.
    Sie war so schnell verschwunden wie ein Geist.
    ***
    Nicole ließ sich in das dampfende Wasser des großen Bottichs gleiten.
    Madame Ichiko hatte ihr erklärt, dass man sich bei einem japanischen Bad mit einer bestimmten Seife den Straßenstaub und den Schmutz der Welt abwusch und abduschte, bevor man sich - seifenfrei und sauber - ins Wasser begab, das den ganzen Tag für die Gäste heiß gehalten wurde. Es wurde jeden Tag erneuert, wie Madame Ichiko erklärte, aber heute war Nicole die Erste, die es nutzen konnte, da es erst zwölf Uhr mittags war. Ihr Ton, als sie sagte, dass die meisten ihrer ausländischen Gäste erst abends zu baden pflegten, ließ ein ironisches Befremden hören, sodass Nicole, die ebenfalls ein Bad am Abend vorzog und lieber nur geduscht hätte, sofort jeden Widerstand einstellte. Die vornehme ältere Frau hatte ihr noch gesagt, dass Yunichiro ihr jetzt direkt das Bett zurechtmachen würde, damit Madame Deneuve nach dem Baden bis heute Abend, bis ihr Neffe sie abholte, noch ein Nickerchen machen konnte.
    Die Seife, die Madame Ichiko ihr beim Betreten des geräumigen Baderaums in die Hand gedrückt hatte, duftete seltsam nach Kräutern und ein wenig nach grünem Tee und Algen. Hätte Nicole es nicht besser gewusst, hätte sie gesagt, diese Seife roch wie ein Zaubertrank. Sie hätte lieber ihre eigene benutzt, aber wie hätte sie die freundliche Geste der älteren Frau ablehnen können? Also hatte sie diese offenbar selbst

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