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0936 - Schattentheater

0936 - Schattentheater

Titel: 0936 - Schattentheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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nicht. Und seit sie sich selbst aus dem Team ausgeschlossen hatte, waren auch die Albträume immer deutlicher geworden, immer detaillierter. Seit dem Treffen mit dem Shinigami hatten sie sogar noch an Intensität gewonnen. Und sie hatten mit CHAVACH zu tun, das stand jetzt fest - und die Tatsache, dass ausgerechnet ein japanischer Geist ihr dabei auf die Sprünge geholfen hatte, sprach doch schon dafür, dass die Antwort in Japan zu finden sein musste und Paris einfach nicht der richtige Ort war.
    Immer mehr Einzelheiten vermochte sie in diesem Lavasee zu unterscheiden. Zuletzt war diese seltsame Landbrücke neu hinzugekommen. Nicole schloss die Augen und versuchte, sich den See zu vergegenwärtigen. Die Landzunge sah gezackt aus und teilte eine Bucht vom Rest des Meeres - des Sees? - ab, die dadurch geschützt schien. Eine Verbindung war hergestellt worden.
    Aber wozu das alles? Sie versuchte, sich auf ihren Traum zu konzentrieren, um eine Antwort darin zu finden, doch wieder holte sie schon allein beim Gedanken an die unheimliche, machtvolle und gewaltige Präsenz von CHAVACH, der aus der furchterregenden und seltsam plastischen Szenerie nicht wegzudenken war, tief Luft, um nicht leise aufzuschreien.
    Auf einmal hatte sie das Gefühl, auf glühenden Kohlen zu sitzen. Was tat sie hier in diesem Theater? Sie musste doch los, den Shinigami suchen. Sie brauchte Antworten. Was kümmerte sie ein belangloser Dämon, der Gäste eines Schauspielers umbrachte? Der Zwerg, der Dämon, der die Blitze sammelte, diese machtvolle, furchterregende Präsenz, die von ihm ausging, war viel wichtiger.
    Nur mit Mühe konnte sie sich beherrschen und sitzen bleiben. Minamoto, der neben ihr saß, warf ihr einen verstohlenen Blick zu und Nicole ärgerte sich über sich selbst. Er wird glauben, er hat eine dumme Europäerin vor sich, die keine Ahnung von Höflichkeit hat , dachte sie und nahm sich erneut zusammen. Heute Abend im Hotel würde sie noch einmal im Internet surfen und suchen, ob der Shinigami vielleicht eine Art Schrein hier in Tokio besaß. Minamoto hatte doch eine Andeutung gemacht, dass Japanern ihre Geisterwelt, die Welt der O-Kami, besonders wichtig war. Vielleicht konnte sie ihn dort erreichen.
    Ich hätte Yasmina Azari mitnehmen sollen; wenn die ihren Budenzauber veranstaltete, hätte sie den Totengeist vielleicht rufen können.
    Sie verdrängte den Gedanken, schloss kurz die Augen und versuchte, sich auf die seltsam dissonante Flötenmusik zu konzentrieren. Doch nach einem Crescendo der Trommeln und der heftig geblasenen, hohen Flöte brach die Musik auf einmal ab. Die plötzliche Stille tat Nicole in den Ohren weh. Als sie die Augen irritiert wieder öffnete, erschrak sie beinahe zu Tode.
    Direkt vor ihr stand der Dämon mit den wilden Haaren und starrte ihr bösartig ins Gesicht.
    ***
    Minamoto-san betrachtete Julie Deneuve verstohlen von der Seite. Endlich hatte er Zeit, sie näher zu betrachten. Eine flotte junge Frau Anfang der Dreißig, wie man sich Französinnen vorstellte. Eine schicke Bluse mit Blazer, eine modische Kurzhaarfrisur ohne Ponyfransen bändigte lockiges dunkelbraunes Haar und sie besaß auch das charmante Lächeln, das Japaner oft mit Frankreich in Verbindung brachten. Doch da war etwas um die junge Frau, das Masaburo Minamoto zutiefst beunruhigte. Sie wirkte geistesabwesend und Minamoto-san fragte sich im Stillen, ob Louis Landru da wirklich die richtige Person zur Befragung hergeschickt hatte. Nun, vielleicht war ein gewisses Maß an Skepsis von ihrer Seite berufsbedingt, Minamoto war bereit, das zuzugestehen. Auch in Japan, wo man Geistern oder Kami, wie die Shinto-Götter und Naturgeister hier genannt wurden, wesentlich offener gegenübertrat, war es starker Tobak, zu sagen, dass eine Mordserie von einem Dämon verübt worden war und nicht von einem Serienkiller. Die Interviewer der deBlaussec-Stiftung mussten misstrauisch sein, sonst wurde mit den kostbaren Geldern der Stiftung zu viel Missbrauch getrieben. Das wusste niemand besser als Minamoto-san selbst, war er doch selbst seit Jahren für die Organisation tätig.
    Als die Musik unterbrach, sah Minamoto Masaburo direkt auf die Bühne. Der Theaterdirektor war mit seiner eigenen Performance nicht zufrieden und diskutierte mit einem anderen Akteur über einige Details in seiner Darstellung. Mit einem kurzen Handzeichen winkte er den Schauspieler des Dämons zu sich.
    Wieder bestätigte sich der Eindruck von Geistesabwesenheit bei Julie Deneuve.

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