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0936 - Schattentheater

0936 - Schattentheater

Titel: 0936 - Schattentheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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welterschütternd, dass er nicht nur die Realität zerriss, sondern auch die angrenzenden Dimensionen…
    ***
    Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis auch die letzten Vibrationen des Tons verklungen waren und Nicole es wagte, die Augen zu öffnen.
    Beinahe erwartete sie, dass die Welt, wie sie sie kannte, unter dem Hall des Brüllens oder Donnerns zu Staub zerfallen war. Doch das Gebäude stand noch und nicht eines der kleinen Make-up-Töpfchen und Cremetiegelchen vor den Spiegeln war umgekippt. Auch die Spiegel selbst hatten keine Sprünge.
    Die Stille tat in ihren Ohren weh und sie fragte sich, ob nicht vielleicht ihre Trommelfelle geplatzt waren. Sie bewegte vorsichtig den Kiefer. Nein, es schmerzte zwar, aber nicht heftig. Anscheinend hatte der Ton wirklich nicht in dieser Realität stattgefunden.
    Ieyasu Koichi war zu Boden gesunken und lag bewusstlos da. Auch Minamoto lag immer noch an der Stelle, an der Nicole ihn vor - wie lange war das her? Wie lange hatte der Donner gebraucht, um zu verklingen? - gefunden hatte, umgeben von dem grünlich leuchtenden Energienetz. Es waberte, langsam, aber stetig. Als Nicole genauer hinsah, erkannte sie, dass sich der Zeitzauber des Shinigami wohl gelöst hatte, denn sowohl Ieyasu als auch Minamoto schienen normal zu atmen.
    CHAVACHS Präsenz war nicht mehr zu spüren. Sie war verschwunden.
    Enttäuscht sah Nicole zum Shinigami hinüber.
    Der Totengeist verharrte in einer unendlich tiefen Verbeugung. Er hatte die Hände wieder an den Fingerspitzen aneinandergelegt wie gestern Abend in ihrem Zimmer, doch diesmal lag seine Stirn auf dem Boden auf den Tatami-Matten. Er rührte sich nicht.
    Noch einmal streckte Nicole vorsichtig ihre Sinne aus, doch sie hatte das Gefühl, dass sich kein Dämon mehr hier in der Nähe befand. Vorsichtig stellte Nicole sich vor, wie das grüne Energienetz um Minamoto herum verschwand.
    Noch während das Netz verblasste und sich schließlich auflöste, richtete der Shinigami sich wieder auf und erhob sich in einer Bewegung, die nicht menschlich zu sein schien.
    »Ach, jetzt stehst du auf!«, platzte Nicole heraus. Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Da hatten wir CHAVACH schon vor uns! Doch nichts passiert! Ich lasse mich einschüchtern und du - du tust gar nichts!«
    Der Shinigami senkte sein Gesicht so weit, dass es Nicole schien, als grinse er breit. »Die verehrte Weißmagierin soll wissen, dass alles, was geschehen ist, gut war«, sagte er fest. »Ieyasu ist gereinigt. Der Dämon, der in ihm wohnte, wurde getötet. Er ist nicht mehr besessen und für den Rest seines Lebens wird seine Seele vor Übergriffen böser Geister und Dämonen gefeit sein.«
    Nicole sah ihn verständnislos an. Der unglaubliche Ton hatte alles gereinigt? Einfach so? »Also hat dieser Donner CHAVACH getötet?«
    Der Shinigami hob das Gesicht. Es wurde ernst. »Oh nein. CHAVACH konnte entkommen. Die Kraft des Dämons in dieser armen Seele dort konnte ihn so stärken, dass er nur vertrieben, nicht aber getötet werden konnte.«
    »Also geht unsere Jagd nach CHAVACH weiter?«
    »Sie beginnt erst, Verehrte. Lebt wohl fürs Erste. Unsere Jagd wird neu beginnen.«
    Der Shinigami verneigte sich vor ihr, präsentierte noch einmal sein Katana und wurde blasser.
    »Aber wie sehe ich dich wieder? Und wann?«, rief Nicole noch, doch der Shinigami antwortete ihr nicht mehr.
    ***
    Nicole starrte in die Nacht hinaus.
    Der winzige Lichtkegel, den die kleine Leselampe ihres Zimmers über ihr bereits aufgeschlagenes Bettzeug warf, war hier, vor dem geöffneten shôji nicht mehr zu bemerken. Nicole hatte gerade eine Kanne von Madame Ichikos Tee getrunken und ließ die Wirkungen des Bades vorhin und der warmen Flüssigkeit in sich wirken.
    Der winzige Garten von Madame Ichikos ryokan lag im hellen Mondlicht und es war so kalt, dass Nicole sicher war, dass der Garten morgen früh mit Raureif überzogen sein würde. Dennoch war ihr nicht kalt. Sie genoss die Frische und spürte die Ruhe, die von diesem Gebäude ausging und sie erfasst hatte.
    Es ist erstaunlich , dachte sie. Ich musste um die halbe Welt fahren, um hier meinen Frieden zu finden.
    Die Albträume von CHAVACH waren verschwunden, dessen war sie sicher. Vielleicht würde sie sie noch einmal haben, aber die Angst, die Panik, die Verlorenheit, die das eigentlich Schlimme daran gewesen waren, die waren vorbei, das hatte die Dämonenjägerin im Gefühl.
    Sicher ist mein Entschluss, gegen CHAVACH vorzugehen, dafür verantwortlich.

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