0937 - Die Rückkehr des Amuletts
vor.«
Die beiden Polizisten enterten einen zivilen Dienstwagen und fuhren in das 9. Arrondissement in den Stadtteil La Duchere. In diesem Problemviertel wohnten viele Ausländer. Die kleine, schäbige Bäckerei in einer schmutzigen Seitenstraße, in der sie Kamel Rossi antrafen, wirkte ungefähr so einladend wie ein Zwinger voller zähnefletschender Rottweiler.
Sie stellten sich vor und zeigten ihre Dienstmarken.
»Jetzt wirbelt hier mal nicht so 'nen Staub auf, Jungs«, flüsterte Kamel mit einem Seitenblick in die offen stehende Backstube. »Es ist nicht gut, wenn mich mein Chef mit Bullen reden sieht. Kommt, wir gehen an ein Plätzchen, wo's ruhiger zugeht.«
Kamel Rossi, ein großer, dicker Mann mit Glatze, Doppelkinn und Dschingis-Khan-Bart, der seine brutalen Züge noch verstärkte, führte Wisslaire und Grosjean in einen schmutzigen Hinterhof, in dem eine verlauste Katze auf drei Beinen herumhinkte und versuchte, sich vor den Männern zu verstecken.
»Pfui Teufel«, sagte Wisslaire und verzog das Gesicht. »Hier würde ich in hundert Jahren nichts kaufen. Das ist ja ekelhaft.«
Rossi blieb unbeeindruckt. »Würd ich auch nicht«, grinste er. »Ich weiß, was reinkommt. He, war nur 'n Scherz. Nicht, dass ihr mir jetzt einen Strick draus dreht. Also, was will die Mordkommission von mir? Ich bin seit vier Jahren sauber. Klinisch rein, um genau zu sein. Ihr könnt mir nichts, aber auch gar nichts anhängen.« Er wischte seine mächtigen Pranken an der erstaunlicherweise sauberen Schürze ab, die sich um seinen Bauch spannte.
»Wahrscheinlich haben Sie einfach nur Glück gehabt, dass man Sie nicht erwischt hat, Rossi«, ätzte Grosjean und schaute immer wieder zu der bedauernswerten Katze hin. »Aber es geht weniger um Sie, als vielmehr um Ihren Bruder.«
Kamel schaute im Moment nicht sehr intelligent drein. »Was denn, Gerard? Hat er wieder mal einen zusammen gedroschen?«
»Schlimmer, viel schlimmer«, erwiderte Wisslaire. »Haben Sie von der Entführung der Marseille-Fähre gehört?«
»Man kommt nicht dran vorbei, selbst wenn man's wollte. Im Fernsehen, im Radio, rauf und runter. Man könnte meinen, die haben kein anderes Thema. Wenn Sie mich fragen: Morgen früh ist die Fähre abgesoffen. Die Scheißkerle werden sie in die Luft jagen, da sich die Scheißregierung sowieso nicht erpressen lässt. Was mir übrigens sehr wehtäte. Ich bin mal auf der Casanova gefahren. Diese verfluchten Terroristen. Man sollte sie alle an die Wand stellen und standrechtlich erschießen. Im Knast kosten sie den Steuerzahler nur sein sauer verdientes Geld. Also Sie und mich.« Er grinste schmierig. »Aber Sie haben irgendwas von meinem Bruder erwähnt, richtig? Ich sehe jetzt bloß den Zusammenhang mit der Fähre nicht.«
»Hören Sie, Rossi, Ihr Bruder Gerard wurde zweifelsfrei als Anführer der Entführer identifiziert«, sagte Wisslaire.
Dem Bäcker blieb der Mund offen stehen. Er starrte die Polizisten an wie Mondkälber. »Quatsch mit Soße«, erwiderte er und schüttelte so heftig den Kopf, dass sein Doppelkinn bedenklich hin und her wabbelte. »Ihr wollt mich verscheißern, Jungs?«
Sie blickten ihn hart an.
»Nein? Ihr wollt mich nicht verscheißern. Sicher nicht?« Er schluckte schwer und zeigte plötzlich deutliche Verunsicherung. »Gerard, ein Schiffsentführer? Nein, unmöglich, das wäre nicht nur zwei, sondern drei Nummern zu groß für ihn. Wenn es darum geht, einen zusammenzuschlagen oder etwas Koks unter die Leute zu bringen oder auch mal einer Schlampe zu zeigen, wo der Hammer hängt, dann würde ich sofort sagen, Jungs, ihr liegt richtig, da ist mein Bruder dabei. Aber der entführt doch kein Schiff. Der weiß nicht mal, wie man das schreibt.«
»Kein Zweifel möglich, Rossi. Er ist es. Und das ist noch nicht alles. Ihr Bruder hat gerade vorhin eiskalt eine der Geiseln erschossen. Eine junge Frau.«
Auf Kamel Rossis Armen bildete sich Gänsehaut. Schweißtropfen erschienen auf seiner Stirn. Immer wieder blickte er nervös zur Tür hin. »Hören Sie, mein Bruder ist doch kein Killer«, flüsterte er. »Ich habe zwar seit vielen Jahren nur wenig Kontakt zu ihm, aber das weiß ich genau. Der würde doch keine Schlam… äh, Frau umlegen. Nein, er würde gar niemanden umlegen. Verprügeln, ja. Aber nicht umlegen.«
»Er hat's aber getan, Rossi. Wir haben sogar einen Film davon. Sie sagen uns jetzt alles über ihn, was Sie wissen«, drohte Grosjean ungeduldig und machte einen Schritt auf ihn zu.
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