094 - Das Mädchen auf dem Teufelsacker
später herausstellte. Abi Flindt und das Mädchen Laeibe waren von der Stelle verschwunden, an der sie sie zurückgelassen hatten. Sie riefen nach ihnen, erhielten jedoch keine Antwort.
Die blonde Laeibe hatte sich abrupt umgedreht und war losgelaufen. Abi Flindt hatte Geistesgegenwart bewiesen. Er war ihr nachgestürmt und hatte sie mit der freien rechten Hand am Arm festgehalten.
„He, was soll das heißen? Willst du ausrücken?"
Sie blieb stehen und lächelte ein wenig kindlich. „Aber nein. Ich habe nur einen Schatten, eine Gestalt entdeckt. Dort, vor dem Haus des Fellhändlers. Ich glaube, das ist Ole."
„Schön, aber wir warten auf die anderen."
„Es ist doch nicht weit entfernt."
„Liegt aber in genau entgegengesetzter Richtung zu dem Platz, an dem sich Coco und Yoshi gerade befinden. Nein, Mädchen, ich habe keine Lust, sie aus den Augen zu verlieren und mich womöglich zu verirren. Ein paar Meter bedeuten viel - unter diesen höllischen Voraussetzungen."
„Ach, bitte, bitte!" bettelte sie.
Er blieb hart, aber sie entwand sich wieder seinem Griff und lief weiter. Abi rannte ihr wetternd nach. Die Jagd führte über die Hauptstraße hinweg, dann durch einen schmalen Gang und schließlich über einen Hof und durch eine Toreinfahrt.
Laeibe blieb keuchend stehen.
Er erreichte und packte sie.
„Hör zu, mach so was nicht wieder! Ich kann sehr wütend werden."
Sie lehnte sich gegen ihn und weinte. „O Abi, nicht böse sein! Ich bin so besorgt um Ole. Ich dachte, ihn zu finden. Ihr könnt mir doch helfen, ihn wieder gesund und normal zu machen?"
Abi stand den Gefühlsausbrüchen des Mädchens ein bißchen ratlos gegenüber. Ziemlich linkisch trachtete er danach, sie zu trösten, aber so leicht ließ sie sich nicht beruhigen.
Abi versuchte, zu ihrem Ausgangspunkt zurückzufinden. Sein Orientierungssinn war hervorragend ausgeprägt, und er verließ sich auf ihn. Nach wenigen Minuten jedoch mußte er kapitulieren. Sie hatten einen Hof erreicht, doch er sah gänzlich anders aus als der, den sie zuvor durchquert hatten. Kurzum, der Däne hatte sich total verlaufen und nicht die geringste Ahnung, wie weit er sich von den Freunden entfernt hatte.
Laeibe hielt sich an seiner rechten Hand fest. „Gütiger Himmel, Abi! Ich tue so was nie wieder! Ich verspreche es.“
„Nett", gab Abi ironisch zurück. „Aber die Einsicht kommt zu spät."
„Behandle mich nicht schlecht!"
„Natürlich nicht. Aber kannst du mir einen Vorschlag machen, wie wir Coco und Yoshi jetzt wiederfinden?"
„Rufen wir doch einfach."
Sie riefen die Namen der beiden, erhielten aber keine Antwort. Ganz Tingvoll schien verlassen, zu einer Totenstadt geworden zu sein, denn auch aus den Häusern hallten jetzt nicht mehr die monotonen Stimmen der zur Gefangenschaft verdammten Menschen.
Abi wollte schon enttäuscht aufgeben, als doch eine Antwort kam. Etwas undeutlich, wie aus weiter Ferne, waren Coco Zamis' und Hideyoshi Hojos Stimmen zu hören.
Laeibe stieß einen kleinen Freudenschrei aus. Auch Flindt gab sich besser gelaunt; er schöpfte wieder Hoffnung. Zuversichtlich nahm er das Mädchen bei der Hand und zog es hinter sich her. Mit schnellen Schritten steuerten sie auf den Bereich zu, in dem Abi die Stimmen geortet hatte.
Die Sicht wurde immer schlechter. Einmal stieß er tatsächlich mit der Stirn gegen eine plötzlich aus dem Dunkel hervorwachsende Hausmauer. Ärgerlich tastete er nach der blutigen Schramme, die er sich geholt hatte. Laeibe wollte die Wunde in Augenschein nehmen. Sie gab sich besorgt, nicht zuletzt, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte. Der Däne lehnte ihre Fürsorge jedoch ab.
Suchend streiften sie durch Straßen und Gassen. Tingvoll kam Abi Flindt mit einem Mal größer als ein Städtchen vor. Es mutete wie ein Labyrinth an, wie ein System aus finsteren, unheilvollen Gassen. Hin und wieder stiegen sie über blutleere Leichen hinweg. Bei jedem Toten, den sie sah, wimmerte Laeibe.
„Coco! Yoshi!"
Abi schrie die Namen, doch jetzt war wieder alles still. Das Paar fahndete noch über eine Viertelstunde weiter nach den Freunden, dann blieb der muskulöse Mann stehen und schüttelte den Kopf. „Es hat keinen Zweck. Wir haben uns von ihnen immer weiter entfernt. Die Sache ist total verfahren. Wir sind für sie in diesem verdammten Nebel verschollen."
Sie trat vor ihn hin und guckte ihn groß an. „0 wie schrecklich, Abi! Es tut mir so leid."
„Willst du mich auf den Arm nehmen?"
„Du bist
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