094 - Das Mädchen auf dem Teufelsacker
gemein." Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. „Warum glaubst du denn nicht an die Ehrlichkeit eines Menschen?"
Er ließ sich mißmutig auf eine vor einem Wohnhaus aufgestellte Bank sinken. „Das habe ich mir schon vor einiger Zeit abgewöhnt. Es gibt nur ein paar ausgewählte Freunde, denen ich vertraue. Genügt das als Erläuterung?"
„Ich habe Angst vor dir."
„Unnötig. Ich fresse keine Mädchen."
„Warum kannst mich nicht leiden?"
Er machte eine ungeduldige, ablehnende Geste mit der Rechten. „Dramatisiere doch nicht! Ich kann nur eines an dir nicht ausstehen, nämlich, daß du dich andauernd, ohne zu fragen, selbständig machst."
Sie setzte sich neben ihn. „Jetzt übertreibst du. Ich glaube, wir finden Coco und Yoshi noch. Vielleicht kommen sie im nächsten Augenblick schon aus dem Nebel hervor und machen große Augen. Das wäre lustig!"
Er musterte sie halb amüsiert, halb verblüfft. „Naiv. Sag mal, wie alt bist du eigentlich?"
„Zwanzig."
„Höchstens achtzehn."
Sie beugte sich flink zu ihm herüber und küßte ihn auf die Wange. „Dazu bin ich aber nicht zu jung, oder? Magst du mich doch ein bißchen, Abi?"
„Hör auf!" Er drückte sie zurück, erhob sich und machte eine unwirsche Miene. „Es ist doch wirklich nicht angebracht, jetzt mit dem Thema anzufangen. Sag mir lieber, wo wir uns befinden!"
„Am nördlichen Ende von Tingvoll."
„In der Nähe vom Wirtshaus etwa?"
„Nicht ganz."
„Ich schätze, hierher kehren Coco und Yoshi bestimmt nicht zurück. Verflixt, wo können wir sie bloß suchen?"
„Auf dem Friedhof beispielsweise - dort, wo früher Verbrecher und Selbstmörder beerdigt wurden. Kommst du mit? Wir wollten doch ursprünglich dorthin und dann nach dem Versteck des Noaiden Ausschau halten." Sie stand auf und wiegte sich kokett in den Hüften. „Eine bessere Führerin als mich kannst du dir wirklich nicht wünschen, Abi."
„Stimmt. Aber laß den Unsinn! Ich finde das geschmacklos."
Sie blickte ihn ärgerlich an. „Ich könnte dich allein lassen. Du würdest dich mit jedem Schritt noch hoffnungsloser verirren."
„Du bist doch ein Luder."
Laeibe schüttelte den Kopf, daß die blonden Haare flogen. „O nein! Gehen wir. Du wirst noch sehen, daß du mich falsch eingeschätzt hast. Komm, laß uns über den Friedhof streifen. Vielleicht finden wir Coco und Yoshi. Und Ole, meinen armen Freund."
Hideyoshi Hojo hatte die Signalpistole gezückt. Er wollte schon schießen, ließ sie dann aber doch wieder sinken und betrachtete sie nachdenklich. „Weißt du, Coco, ich glaube, es hat doch keinen Sinn, eine Feuerkugel zu verschießen. Sie würde viel zu hoch über Tingvoll aufsteigen und Abi höchstens irreführen, statt ihm anzuzeigen, wo wir uns aufhalten."
„Du hast recht. Das Rufen hat auch keinen Sinn mehr. Abi und das Mädchen sind schon zu weit entfernt. Außerdem habe ich den Eindruck, die Todeswolke verschluckt den Schall. Was können wir tun? Wie verhalten wir uns am besten?"
„Indem wir vor allen Dinge Ruhe bewahren", gab er zurück. „Ich nehme an, das Mädchen Laeibe war die Ursache für das plötzliche Verschwinden der beiden. Jetzt ist Abi bestimmt wütend auf sie. Mit der Zeit sieht aber auch er ein, daß wir uns mit den Gegebenheiten abfinden müssen. Agieren wir vorerst in zwei Gruppen. Später finden wir uns gewiß wieder und können die Erfahrungen austauschen, um zu einem Finale zu gelangen."
„Gut. Bleibt nur zu hoffen, daß wir wirklich die Oberhand gewinnen. Was meinst du, wo stecken wir überhaupt, Yoshi? Wir haben uns auch verlaufen."
Er lächelte. „Ich habe mich einigermaßen orientieren können. Meiner Berechnung nach befinden wir uns am Ende von Tingvoll, jenem Punkt also, der den südlichen Zipfel des Ortes bildet."
„Dann sollten wir versuchen, Peer Makselvs Haus zu finden."
„Sehr richtig. Verlieren wir keine Zeit mehr."
Sie wanderten die Straße hinab. Die Umgebung schien tausend Gesichter und Geheimnisse zu haben. Stets waren die beiden Menschen auf der Hut, denn überall konnte der gräßliche Tod lauern. Bald lenkte das Stöhnen eines Menschen ihre Aufmerksamkeit auf sich. Der Japaner beschleunigte seinen Schritt. Coco schloß dicht auf, darauf bedacht, ihn ja nicht aus den Augen zu verlieren. Sie gerieten an eine grobe Mauer und sichteten alsbald die sieben eingemeißelten Näpfchen.
Dann sahen sie den Mann. Er war groß und stark; keine Schönheit, eher häßlich.
Beide erinnerten sich an die
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