094 - Der Teufel von Tidal Basin
angingen.«
»Meinen Sie?« fragte Bray, und Sergeant Shale wunderte sich über den geringen Verstand seines Vorgesetzten.
»Glauben Sie, daß jeder Mann, der eine Leinenmaske vor dem Gesicht trägt, ein Verbrecher ist?« fragte Marford ruhig. »Das tun Sie natürlich nicht, dazu sind Sie viel zu vernünftig. Ebensowenig glauben Sie, daß alle Chinesen schlechte Menschen sind. Ich frage Sie das, weil der Mann, von dem wir früher sprachen, heute abend hierherkommt.« Er schaute auf seine Uhr. »Und zwar in weniger als zehn Minuten.«
»Weißgesicht?« fragte Mason verblüfft.
»Er telefonierte kurz vor Ihrer Ankunft.«
»Sagen Sie, Dr. Marford«, mischte sich Bray wieder ein, »wie ist denn dieser Mann gekleidet, wenn er zu Ihnen kommt?«
Marford überlegte einen Augenblick.
»Gewöhnlich trägt er einen langen, schwarzen Mantel und einen dunklen, weichen Filzhut.«
»Ist der Hut schwarz?« fragte Bray eifrig.
»Möglich. Ich habe mich niemals genau darum gekümmert.«
»Warum kommt er so früh am Morgen?« fragte Mason.
»Er sagte, er wäre schon früher gekommen, wenn nicht so viele Polizisten auf der Straße gewesen wären. Ich berichte Ihnen genau, was er mir erzählte. Es spricht nicht gerade für ihn, daß er sich vor der Polizei fürchtet, aber er ist überempfindlich und zeigt sich nicht gerne.«
»Von wo aus hat er Sie denn angerufen?« »Das weiß ich nicht.«
Der Doktor ging zu dem großen Fenster, zog den Vorhang beiseite und schaute auf die Straße hinaus.
»Dort draußen steht jemand. Ist das auch ein Polizeibeamter? Ach nein, es ist der junge Zeitungsreporter, nicht wahr?«
»Ja.«
»Sagen Sie ihm doch, daß er hereinkommen soll.«
Mason gab Shale einen Wink, und dieser ging hinaus, um Michael Quigley einzulassen.
»Ich muß Sie aber darauf aufmerksam machen, daß Sie nicht alles schreiben dürfen, was Sie hören«, ermahnte ihn Mason. »Sie müssen diskret sein. Und in dieser Beziehung kann ich mich ja auf Sie verlassen.«
»Um was handelt es sich denn?«
»Um Weißgesicht«, erklärte Mr. Bray und räusperte sich verlegen, als ihn Masons Blick traf.
»Ja, es handelt sich um jemand, der ein weißes Tuch vor dem Gesicht trägt, um einen Mann, der hier und sonstwo schon gesehen worden ist. Ich glaube, Sie sind ihm im Howdah-Klub begegnet. In den nächsten Minuten wird er hier sein. Er wird allerdings nicht gern mit so vielen Leuten zusammentreffen wollen«, wandte er sich an Marford, »aber Sie sehen doch ein, daß ich ihm einige Fragen stellen muß.«
Der Doktor beschäftigte sich mit einer Quarzlampe, die er mitten ins Zimmer rückte. Er nickte.
»Ich kann nur wiederholen, daß der Mann sehr scheu ist. Aber wenn ich schon jemand im Interesse der Justiz betrügen soll, so kann ich das ja schließlich auch mit ihm tun. Ich bin allerdings auf eine solche Handlungsweise nicht sehr stolz.«
Er rückte die Lampe näher an den Schreibtisch und schaltete sie ein. Ein grüner Lichtkreis erschien auf dem Boden, in dem sich die Schatten der anderen Lichter rötlich färbten. Marford drehte die Lampe wieder aus und erklärte, daß sie nicht an das elektrische Netz angeschlossen sei, sondern einen eigenen Akkumulator habe.
»Ich muß Sie noch darauf aufmerksam machen«, sagte er, »daß der Mann eventuell nicht hereinkommen will. Das letzte Mal fiel es mir schon sehr schwer, ihn dazu zu überreden.«
»Welchen Weg kommt er gewöhnlich?«
»Über den Hof und durch den hinteren Gang zu dieser Tür.« Er zeigte auf den Ausgang neben dem Medizinschrank. »Er gibt immer ein besonderes Klingelzeichen - zweimal lang und zweimal kurz. Das habe ich selbst so mit ihm vereinbart. Wenn er von Ihnen etwas sieht oder hört, werde ich ihn niemals hereinbringen.«
Mason ging zur Tür und drückte die Klinke herunter. Sie war verschlossen. Als alle aufs höchste gespannt waren, klingelte plötzlich das Telefon. Marford nahm den Hörer ab.
»Ja, Dr. Marford ist am Apparat ... es geht ihr besser? Das freut mich ... ja, er ist hier . . . gewiß!« Er reichte Mason den Hörer. »Mrs. Weston hat ihr Bewußtsein zurückerlangt. Sie möchte zur Polizeiwache kommen, um mit Ihnen zu sprechen.«
Mason lauschte einige Zeit und gab nur einsilbige Antworten. Als er den Hörer auflegte, sah er sehr nachdenklich aus.
»Ich glaube, das war Elk. Ich habe ihn an der Stimme erkannt. Sie will mich tatsächlich auf der Wache sprechen. Ich möchte nur wissen, ob ich Elk noch rechtzeitig herbringen könnte. Er würde sich
Weitere Kostenlose Bücher