Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0941 - Das unheile London

0941 - Das unheile London

Titel: 0941 - Das unheile London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Doyle
Vom Netzwerk:
wenn Sam sich nicht täuschte, prasselte es gerade herab, als hätten sich alle Himmelsschleusen geöffnet. Der Sturm schlug die Zweige der mächtigen Eiche, die den Vorgarten ihres Reihenhäuschens schmückte, gegen die Fensterscheiben. Es hörte sich an, als würde ein lebendiges Wesen gegeißelt werden und vor Schmerz aufheulen. Windböen peitschten um das altersschwache Häuschen, das einer grundlegenden Renovierung bedurft hätte. Doch dafür fehlte das Geld, vor allem seit Sam und Maya fast zeitgleich ihre Jobs verloren hatten. Seither waren sie nicht gerade auf Rosen gebettet - allenfalls auf deren dornige Stiele.
    Maya rührte sich neben ihm, wälzte sich aus der Seitenlage auf den Rücken und hob im Beinahedunkel den Kopf. Sie starrte ihn an. Sam ahnte es mehr, als dass er es sehen konnte.
    »Was für ein Scheißwetter«, murmelte sie schlaftrunken. »Mir reicht's langsam. Lass uns wegziehen. Malediven, Seychellen, Bahamas - wär' das eine Option?«
    »Nicht in diesen Tagen, Darling«, erwiderte Sam, bemüht, sich die eigene Befindlichkeit nicht anhören zu lassen. »Die Pole schmelzen, das weiß jedes Kind. Wenn schon, sollten wir uns irgendwas hoch gelegenes aussuchen. Der Himalaja. Oder die Anden.«
    »Da regnet's dann auch garantiert seltener, und mit Nebel hätten wir dort wahrscheinlich auch nicht so viel am Hut. Mist! Hört sich fast an, als würd' ich's schon vermissen, was?«
    Er lachte. Sie hatte Humor. Dafür liebte er sie. Dass sie miteinander lachen konnten, war der Kitt, der ihre Beziehung in den acht Jahren, die sie sich kannten, zusammengehalten und auch schon das ein oder andere »Malheur« repariert hatte.
    Auf seine Ellbogen gestützt, ließ Sam den Blick durchs Zimmer schweifen. Die »Sterne« waren immer noch da und schienen sogar größer geworden zu sein.
    »Mir geht's nicht so toll«, entschied er sich, nicht länger den Helden zu spielen. »Vor meinen Augen tanzen Funken.«
    »Vor meinen auch«, verblüffte ihn Maya.
    Gerade hatte er sich wieder unter die Decke sinken und an seine Frau schmiegen wollen. Ihre Worte ließen ihn jedoch erstarren. »Hey, ich mach' keine Witze. Mir geht's wirklich nicht gut«, schmollte er.
    »Ich auch nicht, Liebling.« Sie brachte sich neben ihm in Stellung, schob sich so weit zum Kopfende des Bettes, dass sie sich mit dem Rücken gegen das mit gerutschte Kissen und die Wand lehnen konnte. »Es glitzert überall, als würden Glühwürmchen durchs Zimmer fliegen.«
    Er sah ihr Gesicht, als ein Blitz den Raum für kurze Zeit erhellte. Danach waren alle Zweifel beseitigt. Sie meinte es ernst. »Es sind aber weder Funken noch Sterne«, sagte sie. »Glaub' ich jedenfalls. Wenn du dasselbe siehst, bin ich schon froh. Dann bilde ich's mir wenigstens nicht nur ein. Ich dachte schon, ich spinne.«
    Auch Sam sah jetzt genauer hin. »Was haben wir vor dem Schlafengehen getrunken?«, fragte er.
    »Du einen Sherry, ich ein Glas Rotwein.«
    »Davon dürfte es nicht kommen.«
    »Nein.«
    »Verdammt, es wird immer schlimmer. Sind das…«
    »… Buchstaben?«, vollendete Maya für ihn. »Scheiße, ja! Sieht verdammt danach aus. Und gab's da drüber nicht eine Geschichte in der Bibel?«
    »Musst du eher wissen. Du kommst aus einer streng katholischen Familie. Bei mir war's etwas lockerer.«
    »Eine Feuerschrift an der Wand. Mene mene tekel… «
    Sam wollte einen sarkastischen Kommentar abgeben, aber die Worte gingen ihm nicht über die Zunge.
    Mene mene tekel u-pharsin.
    Nein, daran glaubte er nicht.
    Aber er sah - genau wie Maya - wahrhaftig plastische dreidimensionale, leuchtende Buchstaben durch das Dunkel des Raumes schweben. Nicht irgendwelche seltsamen Runen oder Symbole einer Sprache, die ihm nicht geläufig war, nein: Das hier waren ganz klar Buchstaben des Alphabets, das jedes englische Kind schon in seinem ersten Schuljahr erlernte!
    Sie sahen aus, als wären sie von keiner Maschine, sondern von geübter Hand in die Luft gemalt worden. Kunstvoll geschwungen, aber jeder Buchstabe ohne den Zusammenhalt eines Wortes. Wie Derwische flogen sie wirr mal hierhin, mal dorthin, kamen dabei Sam und Maya mal näher und rückten dann wieder von ihnen ab.
    Es ging nichts erkennbar Bedrohliches von ihnen aus, aber irgendwoher mussten sie kommen. Aber das aufgeschreckte Paar hielt vergeblich Ausschau nach der Quelle, der sie entsprangen.
    »Da spielt uns jemand einen Streich«, seufzte Maya. Sie klang überhaupt nicht ängstlich, eher aufgebracht. »Wenn ich herauskriege,

Weitere Kostenlose Bücher