0943 - Der KYBSOON-Effekt
verschiedenen Empfindungen, die in meinem Inneren tobten, ließen mich die pflanzlichen Strukturen des Sydra keineswegs als liebliche grüne Architektur sehen. Ich begann zu fühlen, daß sich dieser Komplex aus Wurzelwerk, geschnitzten Stämmen und runden Balken in eine Falle verwandeln konnte, in eine riesige Pflanze, die sich um uns zusammenkrampfte und ihre Lianen und Äste erdrosselnd um uns legte. Trotz dieses Eindrucks ging ich weiter und folgte der Eingeborenen. Sie glitt barfüßig über den Rasen und näherte sich einem großen Tor. Es war eine blütenumkränzte Öffnung in der lebenden grünen Mauer.
„Wohin führst du uns?" fragte Hillfahr, als wir drei verschieden breite Terrassen und mehrere flache Treppen hinter uns gelassen hatten. Ich drehte mich um und sah hinunter auf die freie Rasenfläche mit ihren Bäumen. Sie bewegten sich leicht in einem warmen Wind. Die Sonne strahlte herunter, und aus dem Innern des Sydra kam zugleich mit dem dumpfen Gesang ein moderiger Hauch.
„Ins Zentrum. Genauer gesagt, bringe ich euch zu Toorl, dem Wächter des Sydra. Er wird entscheiden, wie weit ihr in die inneren Räume eindringen dürft. Aber ich bin sicher, er erteilt euch jede Erlaubnis."
Der Gegensatz zwischen der beruhigenden Helligkeit draußen und dem feuchten Halbdunkel des Tempelinneren war bedrückend. Ich blinzelte und gewöhnte meine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse. Wenn wir Glück hatten, befanden wir uns in kurzer Zeit vor dem gesuchten Auge.
Meine Unruhe nahm zu. Ich legte eine Hand auf den Griff der Waffe und folgte den anderen Teilnehmern des Suchkommandos, Wir kamen in eine kleine, ebenfalls natürliche Halle dieses gewachsenen Doms. Sonnenlicht fiel durch große Öffnungen des Blätterdachs. In der Mitte der Rasenfläche befand sich eine Plattform aus fein bearbeiteten Blöcken.
Im Hintergrund sahen wir die Metalladern des Felsens, an den das Sydra angebaut worden war.
Oder sollte ich besser sagen: um den herum es gezüchtet und kultiviert worden war? Ich duckte mich, als ein Zweig leicht meine Stirn streifte und mich mit dem wohlriechenden Blütenstaub überschüttete. Ich dachte in diesem Zusammenhang an eine Dosis Gift, die über mich gestreut wurde. Mit Gewalt unterdrückte ich diesen Impuls und ging hinter Hillfahr her, der sich verwundert, fasziniert und wißbegierig umsah.
In der Mitte der Plattform stand ein Mann.
Er war nicht alt und nicht jung. Seine Kleidung war einfach; er trug keine Schuhe. Er schien einen Kopf größer zu sein als die Sydraner, die wir bisher kennengelernt hatten. Die junge Frau ging auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und sagte mit ihrer voll tönenden Stimme etwas in der fremden Sprache.
Die Mikrophone und Lautsprecher unserer Geräte übersetzten inzwischen fast fehlerfrei von einer Sprache in die andere.
„Das sind die fünf Fremden, Toorl. Sie suchen etwas, das sie ,Auge' nennen und glauben, daß das Auge unseres Tempels ihnen einen Hinweis geben kann, wo sich das von ihnen gesuchte Auge befindet."
„Das mag sein", gab Toorl zurück. „Kommt bitte näher. Fragt mich! Ich sage euch alles, was ich weiß."
Ich war unruhiger geworden. Meine Nervosität nahm zu. Hinter meinen Schläfen begann ein stechender Schmerz zu pochen. Ich schwieg, sah mich um und hörte zu. Ich war diejenige, die sämtliche Verantwortung trug.
Toorl winkte uns und ging voraus. Junaca, Caudmer, Laudnahr und Hillfahr bildeten eine Gruppe um Toorl.
KarstVlad und ich folgten ihnen in einigen Schritten Abstand. Der geistige Aufruhr, der immer stärker in meinem Verstand zu toben begann, gewann mehr und mehr Macht über mich. Meine Gedanken verwirrten sich und wurden nach einigen Sekunden wieder klar, aber offensichtlich waren die mentalen Impulse der noch unsichtbaren Meditierenden für mich ebenso wirksam wie die Hyperstrahlung von KartrappSydra. Wir verließen die Höhle, die auf mich wie ein riesiger Rachen wirkte, der jeden Moment zuklappen konnte.
Ich stolperte. KarstVlad hielt mich am Arm fest und warf mir einen besorgten Blick zu.
„Ist dir nicht gut, Demeter?" fragte er leise. „Was hast du?"
„Es ist nichts", sagte ich hart. „Ich bin der Ansicht, daß unsere beiden Führer uns in eine Falle locken wollen."
„Du irrst", meinte er leichthin. „Alles hier ist ungefährlich, liebenswürdig und in höchstem Maß einfach zu durchschauen. Es sind unkomplizierte, nette Wesen, die uns helfen wollen, wo immer sie können."
Ich zuckte nur die Schultern, hielt
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