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0943 - Herren aus der Tiefe

0943 - Herren aus der Tiefe

Titel: 0943 - Herren aus der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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nach und musste an Mike denken. Irgendwie war sie wegen ihm hier, auch wenn das unfair und feige klang.
    Schnell schüttelte Jenny den Kopf, vertrieb die trüben Gedanken. Dann - mehr aus Ablenkungssucht denn aus Interesse - warf sie einen Blick auf den Flyer. »Einladung! Seance zu Ehren der Stadtväter. Morgen, 21 Uhr. 163. Ecke Amsterdam. Heil denen, die in Tiefen walten!«
    Jenny schnaubte. Was für ein Käse.
    Eigentlich stand es ihr nicht zu, derart hart über solche Dinge zu urteilen. Sie hielt sich für eine bodenständige junge Frau und galt als neue Hoffnung im kritischen TV-Journalismus dieses Landes. Ihre wöchentliche Sendung »Think America«, in der sie den gesellschaftlichen und politischen Missständen dieser einstmals so stolzen Nation auf den Grund ging, brachte mittlerweile sehr respektable Quoten ein, auch wenn so mancher Republikaner innerhalb und außerhalb des Weißen Hauses Jenny für ihr kritisches Gespür sicher auf den Mond wünschte. Trotzdem: Auch sie hatte schon Dinge erlebt, die die Grenzen der Realität gesprengt hatten - vorsichtig ausgedrückt.
    Erst kürzlich diese Sache in Texas, wo ein Energievampir eine Gefängnisrevolte ausgelöst und nahezu die gesamte Belegschaft der Haftanstalt getötet hatte. Und dann die Sache mit Frank, ihrem ehemaligen Kameramann. Frank und Dellinger's Point, wo die Tore zur Hölle selbst offen standen. [1]
    Noch heute, Monate später, reichte allein ein Gedanke an jene unwirkliche Nacht im kanadischen Eis, um Jenny die Eingeweide zu verdrehen und ihr kalte Schauer des Entsetzens über den Rücken zu jagen.
    Nein, dann schon lieber das ganz reale Grauen eines bizarren Metropolenmordes. Immerhin konnte man sich, wenn man diesem nachgehen wollte, wunderbar davon ablenken, über die eigenen Probleme nachdenken zu müssen. Etwa über Mike, der gerade in einer Privatklinik nahe des Central Parks mit dem Schicksal rang, während sie sich feige ins lokale Tagesgeschehen stürzte, um vor Sorge nicht wahnsinnig zu werden. Plötzlich rempelte sie einer der Freaks an und riss sie aus ihren Gedanken. Jenny taumelte, bewahrte gerade so ihr Gleichgewicht und schüttelte schließlich den Kopf. »Was mach ich eigentlich hier?«, murmelte sie. Einige Blocks weiter stadteinwärts, lag der Mann, den sie liebte, im künstlichen Koma, und sie hatte nichts Besseres zu tun, als einem lokalen Phantom nachzuforschen, das die Lokalpresse erfunden hatte?
    Nein, verdammt! Es wurde Zeit, dass sie sich der Realität stellte und die Hirngespinste den Grufties vor Police Plaza überließ.
    Es wurde Zeit, zu handeln.
    ***
    Als das vierte freie Taxi unbekümmert an ihr vorbeifuhr und nicht anhielt, gab sie es auf. New York wollte offenbar nicht, dass sie sich in den berühmten Yellow Cabs fortbewegte. Vielleicht war das ihre Strafe dafür, Mikes Klinik überhaupt erst verlassen zu haben.
    Gut, damit musste sie leben. Außerdem gab's ja immer noch die U-Bahn. Wenn sie sich recht entsann, war gleich neben dem Klinikportal eine Station gewesen. Demnach musste sie nur hier vor dem Polizeihauptquartier die nächste Haltestelle finden, die richtige Verbindung nutzen, und schon wäre das Problem gelöst - auch ohne Taxi.
    Es kostete Jenny einige Mühe, die viel befahrene Manhattaner Straße zu überqueren, ohne dabei ihr junges Leben zu verlieren. Autos ohne Ende, Kühlerhauben stießen - sanft, aber bestimmt - gegen ihre Oberschenkel, Hupen plärrten ihr ihren Protest entgegen, zum Teil sogar mehrstimmig.
    Dennoch setzte sie ihren Weg unbeirrt fort. Dort vorne war die U-Bahn-Station, wenige Meter noch. Jenny drängelte sich an den Passanten vorbei, die eilig von hier nach da gingen, umschiffte die Schaufenster und Cafétische auf dem Gehsteig und hatte die ins Unterirdische führende Treppe fast erreicht, da hielt sie inne.
    Irrte sie sich, oder wurde sie verfolgt?
    Es klang absurd, aber seit der Sache in Kanada war ihr, als habe sie eine Art sechsten Sinn für so etwas entwickelt. Gut, manche mochten es auch schlicht Paranoia nennen - die stetige Angst eines Menschen, der nur zu deutlich erfahren hatte, wie schlecht die Welt wirklich war -, aber Jenny zweifelte nicht daran, dass sie dieses Gespür schon vor so mancher potenziellen Krise bewahrt hatte.
    Entsprechend schnell schrillten auch diesmal ihre Alarmsirenen.
    Sie verlangsamte ihren Schritt und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch ihre Muskeln spannten sich an, ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Plötzlich Tatsache

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