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0943 - Herren aus der Tiefe

0943 - Herren aus der Tiefe

Titel: 0943 - Herren aus der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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    Dort, im breiten Fenster eines kleinen Delis, sah sie ihn gespiegelt - den abgerissenen Prediger von vorhin. Den, der ihr den Flyer in die Hand gedrückt hatte. Er war vielleicht acht Schritte hinter ihr und bemühte sich auffällig unauffällig, ihr zu folgen.
    Konnte das Zufall sein? Nur weil jemand ungefähr den gleichen Weg hatte, brauchte sie doch noch nicht vom Schlimmsten auszugehen. Dennoch, das Gefühl blieb.
    Jenny grübelte nicht lange. Sie brauchte Gewissheit. Ruckartig wandte sie sich um, wechselte die Straßenseite und betrat wahllos eine Boutique. Der Italoamerikaner folgte ihr. Sie sah ihn vor dem Fenster des Ladens warten, den Blick zum Schein in eine Zeitung vertieft.
    Nun wurde ihr warm. Also doch! Aber warum? Was wollte der Kerl von ihr? Er war schmächtig, groß. Eingefallene Wangen unter tief liegenden Augen, schütteres, ungepflegtes Haar. Auf seiner kuttenähnlichen Kleidung prangten Symbole, die an Pentagramme und dergleichen erinnerten, allesamt eingestickte satanistisch angehauchte Kunstwerke.
    Nein, sie hatte definitiv keine Lust, ihn anzusprechen. Sie wollte nur weg hier. Raus.
    Jenny sah sich um. Im hinteren Bereich des Ladens befand sich ein zweiter Ausgang. Ohne die Bediensteten eines Blickes zu würdigen, lief sie darauf zu, trat hinaus und fand sich in einer kleinen Gasse wieder, die etwa fünf Meter vor ihr auf den Gehsteig führte. Die junge Journalistin atmete einmal durch, dann rannte sie los - vorbei an Mülltonnen und dampfenden Gullys, sah nicht nach links oder rechts, rannte nur. Rannte.
    Autos hupten, als sie abermals auf die Straße geriet. Ein Fahrradkurier bremste zu spät, prallte gegen sie und landete unsanft auf dem Boden. Jenny hielt nicht an. Fünf Meter noch bis zur U-Bahn-Treppe… drei… zwei…
    Im Schaufenster sah sie ihn wieder. Er klebte ihr an den Fersen, streckte schon die sehnigen Arme nach ihr aus…
    Doch sie war schneller. Jenny tauchte in der Menge ab, wich seinem Zugriff aus und erreichte die Stufen. Schnell hinunter, vorbei an den Fahrkartenschaltern und durch die Drehkreuze. Keine Zeit, keine Zeit. Ihr Leben mochte davon abhängen.
    Ein Zug! Dort vorne hielt er, die Türen schlossen sich gerade. Perfekt. Wenn sie es noch an Bord schaffte, war sie ihrem Verfolger entwichen!
    Jennys Lunge rasselte, ihr Herz hämmerte wie wild. Seitenstechen machte jeden Atemzug, jeden weiteren Meter zur Qual, aber sie durfte nicht langsamer werden. Ein paar Meter mehr, schnell, bevor…
    Sie hatte die wartende U-Bahn fast erreicht, da trat ihr so unvermittelt eine Gestalt in den Weg, dass Jenny blindlings gegen sie lief, zurückprallte und zu Boden fiel. Als sie aufblickte, sah sie ein breites Grinsen unter zwei gierig leuchtenden Männeraugen.
    »Hab ich Sie«, murmelte eine Stimme zufrieden.
    ***
    Gryf ap Llandrysgryf verzog gequält das Gesicht und presste die Handflächen an den Oberkörper. Verflucht, konnte die Kleine zuschlagen! Davon blieben zweifellos blaue Flecken zurück. Aber okay, nichts gegen Frauen, die sich zu verteidigen wussten.
    »Tut mir wirklich leid, dass ich Sie so erschreckt habe.«
    »Sagten Sie bereits«, murmelte Jenny Moffat trotzig. »Aber erwarten Sie nicht, dass ich mich im Gegenzug auch entschuldige.« Sie starrte weiterhin stur geradeaus auf das leere U-Bahn-Gleis und würdigte ihn keines Blickes. Ein Breitbildmonitor war in die dahinter liegende Wand eingelassen, auf dem stumm das Programm des Nachrichtensenders CNN lief.
    »Tu ich nicht«, stöhnte Gryf leise. »Versprochen. Immerhin…«
    Sie schnaubte. »Immerhin haben Sie nichts anderes verdient! Einfach so aus dem Nichts aufzutauchen. Sie haben mich fast zu Tode erschreckt, Mister!«
    Der Silbermonddruide lächelte gequält. »Für eine Sterbende hatten Sie aber noch ordentlich Power unter der Haube!«
    Er hatte sich kaum zu ihr teleportiert - was ihm dank seines Talents zum zeitlosen Sprung mühelos gelungen war -, da waren ihre harten Fäuste schon geflogen gekommen. Wie es schien, war Miss Moffat heute ein wenig nervös.
    »Wie, sagten Sie, sah der Typ noch aus? Der, der sie verfolgte?«
    »Schmal, eingefallen, dunkel - der klassische Schizo eben«, antwortete sie lapidar. »Ich habe mich schon nach ihm umgesehen - er ist fort.«
    Sofern er je hier war und nicht deiner überreizten Fantasie entsprang , dachte der Druide, hütete sich aber, die Worte laut auszusprechen. Sein Oberkörper schmerzte auch so schon genug.
    »Verraten Sie mir lieber, was Sie hier verloren haben«,

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