0944 - Blutgespenster
kicherte. Dieser Laut mischte sich unter die anderen schrecklichen und tierischen Laute, die ihr entgegenwehten. Sie drangen aus den bis zum Zerreißen geöffneten Mäulern der Blutsauger, und der erste war bereits so nahe herangekommen, daß sie seine Zunge erkennen konnte, die immer wieder aus dem Mund schlug, als wollte sie irgendwelche Spinnen oder Insekten fangen, die das Dunkel durchstreiften.
In der Höhle war es kalt. Es stank nach Friedhof und verwestem Fleisch, aber auch nach Erde und Lehm. Es war der Geruch des Bösen, den die Blutsauger so liebten.
Die blutige Lucy, wie sie in der Legende auch genannt wurde, trat etwas von dem trennenden Zaun zurück, damit er ihr nicht mehr ins Gesicht schnitt, und als sie die lockenden Laute ausstieß, hörte es sich an, als würde sie hecheln.
Sie bewegte die Hände. Sie winkte. In der Hoffnung, daß die Blutsauger sie sehen würden.
Der erste zumindest strengte sich an. Wieder bewegten sich seine Hinterbeine wie die eines Frosches, wenn er das Wasser durchschneidet, aber bei dem Blutsauger schabten sie über den Boden, und er kam nicht so rasch von der Stelle.
»Du wirst es schaffen!« flüsterte ihm Lucy zu. Sie legte den Kopf schief und lächelte. »Los, du wirst es schon schaffen. Komm her! Zieh dich hoch! Du bist der erste.«
Sie erinnerte sich noch an den Blutsauger, als er noch ein Mensch gewesen war und sie ihn in Rumänien ausgesucht hatte. Eigentlich hatte sie die Rumänen als Leiharbeiter und Vampire an einen windigen Geschäftsmann verkaufen wollen, aber dieser Plan war ihr durch zwei Männer vereitelt worden. Deren Namen kannte sie nicht, aber schon der Gedanke an sie ließ Lucy schaudern, denn sie wußte, wie gefährlich diese beiden Typen waren.
Damals, in Rumänien, hatte sie daran nicht gedacht. Da war es ihr darauf angekommen, genügend Nachschub zu sammeln, und der stand jetzt vor ihr. Sie hatte den Namen des ersten vergessen, der auf das Gitter zukroch, aber sie erinnerte sich daran, wie sie ihn geholt hatte.
Von der Straße weg hatte sie ihn gelockt. Er war einer derjenigen gewesen, die von Raub und Totschlag lebten, und er hatte sich von ihr becircen lassen.
Weg von der Straße, hinein in den Wald, wo sie ihr Versteck hatte. Da war er über sie hergefallen, um sie zu vergewaltigen und noch andere Dinge mit ihr anzustellen.
Nur hatte er nicht gewußt, wer sie war.
Und das genau hatte sie ausgenutzt.
Ihre Zähne waren tief in seinen Hals gedrungen, und sie hatte sein Blut getrunken wie die größte Köstlichkeit auf Erden.
Danach war es ihr besser ergangen. Es war der erste gewesen. Gemeinsam hatten sie die anderen geholt, ebenfalls ihr Blut getrunken und die Bestien dann mit der Hilfe von Mittelsmännern über die Grenze geschafft. Von dort waren sie dann auf großen Umwegen an der englischen Westküste gelandet.
Wie der Rattenfänger von Hameln einst die Tiere und die Kinder, so hatte Lucy ihre Vampire in die gewaltige Höhle unter dem Hügel geführt, wo sie blieben.
Sterben konnten sie nicht, sie waren schon tot. Aber sie konnten dahinsiechen, über Jahre hinweg, über Jahrhunderte, warten auf das Blut, bis der Zeitpunkt reif war.
Noch nicht, aber bald…
»Komm, komm…« flüsterte sie dem ersten zu, der immer mehr in den Bereich der Flammen geriet, die nie senkrecht standen. Durch die Lücken hinter der Blutsaugerin wehte der Wind und spielte mit den Flammen. Er ließ sie tanzen, er drückte sie nach unten, dann auch wieder zur Seite und gab ihnen die Chance, sich wieder aufzurichten, wobei dann die huschenden Schatten auf der Fratze des herankriechenden Vampirs verschwanden und sein Gesicht rötlich aussah.
Die Haare auf seinem Kopf sahen aus wie wirres Kraut, das bis weit in den Nacken hing. Sie waren fettig, schmutzig und verfilzt. Ebenso mit Schmutz beschmiert war das Gesicht des Blutsaugers, und auch die Hände sahen so aus.
Er hatte es geschafft und die Arme nach vorn gestreckt. Auf dem Weg zum Zaun hin spreizte er die Finger, dann berührte er den Maschendraht, fand auch Lücken und streckte die Finger hindurch, die er sehr bald krümmte, um sich festhalten zu können.
Der Untote brauchte diesen Halt, um sich auf die Beine zerren zu können. Noch immer trug er die Kleidung, die er auch in Rumänien getragen hatte.
Eine zerlöcherte Hose. Ein fleckiges Hemd, eine Jacke, deren Stoff durch den Schmutz wie Leder glänzte.
Er lag noch immer auf dem Boden, wenn auch die Arme erhoben, um sie als Stütze zu benutzen.
Der
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