0944 - Blutgespenster
Qualität sich jeder von uns ausschwieg, dann waren wir startbereit. Vor uns lagen noch einige Meilen. Wenn alles klappte, konnten wir die Westküste zu Mittag oder kurz darauf erreichen.
Auch wenn der Chef des Motels an seinem Arbeitsplatz von einem Blutsauger angegriffen worden war, die eigentliche Post würde an der Küste, in einem kleinen Ort namens Llanfair, abgehen, denn das war der Heimatort dieser Lucy Tarlington. Dort kannte sie sich aus, und wir waren sicher, daß sich in der Umgebung in den letzten hundert Jahren kaum etwas verändert hatte. Llanfair gehörte zu den Dörfern, die abseits des Stroms der Zeit lagen und sich noch ihre Eigenständigkeit bewahrt hatten, eine geschlossene Gemeinschaft bildeten, in die ein Fremder so rasch nicht einbrechen konnte. Man lebte in diesen Orten zwar in der Gegenwart, war aber mit der Vergangenheit sehr stark verbunden, mit alten Geschichten und Legenden, zu denen auch die Sage der blutigen Lucy zählte.
Vor mehr als hundert Jahren hatte sie in Llanfair gelebt, war dann verschwunden und war in dieser Zeit wieder zurückgekehrt. Wir wußten mittlerweile, daß sie sich in Rumänien aufgehalten hatte, im klassischen Land der Vampire gewissermaßen. Da hatte sie sich »erholen« und ihre Fäden ziehen können, und der große Plan war auch teilweise schon in Erfüllung gegangen, denn sie hatte ihre Opfer dank tatkräftiger Mithilfe einiger Helfer über die Grenze und später in unser Land schaffen können, wo sie dann versucht hatte, sie als Leiharbeiter unterzubringen, was ihr zum Glück nicht gelungen war, denn da waren wir als Störenfriede aufgetreten.
Dieser kleine Erfolg reichte uns natürlich nicht aus. Wir wollten Lucy Tarlington vernichten und natürlich auch ihren geheimnisvollen Helfer, der es tatsächlich geschafft hatte, aus dem Nichts zu erscheinen, der uns wirklich als Vampir-Phantom erschienen war, geschützt durch eine Wolke, in die er immer wieder abtauchen konnte.
Leider wußte er Bescheid, daß wir ihm oder Lucy auf den Fersen waren. Er hatte ja schon gehandelt, aber wir waren ihm wieder zuvorgekommen und hatten seinen Helfer, den Chef des Motels, von seinem untoten Dasein erlöst.
Das war nicht mehr als ein Vorspiel gewesen. Jedem von uns war dies natürlich klar. Das eigentliche Drama würde woanders stattfinden, und wir hofften, daß wir es schafften, rechtzeitig zu kommen. Wenn Blutsauger frei herumliefen, dann gingen sie auf die Jagd nach Blut, dann wollten sie saugen und trinken, und niemals konnten sie genug kriegen.
Es war ein kalter Wintertag. In den letzten Jahren war es Anfang Dezember eigentlich nie so kalt gewesen. Die Temperaturen lagen um drei bis vier Grad unter dem Gefrierpunkt, was nicht weiter tragisch gewesen wäre, aber hinzu kam der Ostwind, und der wehte eisig über das Land. Es lag auch kein klarer Himmel über uns; keine blasse Wintersonne schickte ihre Strahlen auf die Erde. Die Bewölkung war ziemlich dicht, auch wenn sie sehr hoch lag. Es war Schneewetter angesagt, und des öfteren warfen wir einen Blick in den Himmel, aus dem dann die Flocken rieseln würden.
Noch hielten sie sich zurück, aber es hatte schon geschneit. An gewissen Stellen war er auch liegengeblieben und hatte die Landschaft überzogen mit seinem blassen Tuch.
Die Straßen waren zum Glück trocken, allerdings an schattigen Stellen auch leicht vereist.
Die Autobahn führte nicht bis ins nördliche Wales. Kurz hinter Birmingham war Schluß gewesen.
Wir fuhren auf einer der breiteren Schnellstraßen weiter, über Telford und Shrewsbury, dann in Richtung Oswestry und Wrexham.
Letzteren Ort passierten wir, um an die Küste zu gelangen.
Norden, Richtung Norden.
Der Wind hatte aufgefrischt. Manchmal erwischte er uns auch in Böen. Am Himmel lag zwar noch die Wolkendecke, aber sie riß hin und wieder auf, wenn sie von den Stößen durcheinandergewirbelt wurde. Die Heizung im BMW arbeitete gut, wir hatten sie aber noch nicht auf maximale Leistung gestellt.
Unser Fahrer war Suko, auf den wir uns hundertprozentig verlassen konnten. Außerdem saß er gern hinter dem Steuer, auch wenn die Fahrerei manchmal beschwerlich wurde, denn wir fuhren hinein in die Berwyn Mountains.
Mit ihrer Durchschnittshöhe von fünfhundert Metern gehörte sie nicht zu den hohen Gebirgen, doch mit größeren Temperaturschwankungen mußte man dort rechnen.
Bill Conolly und Frantisek Marek hatten es sich auf dem Rücksitz bequem gemacht. Sie waren irgendwann eingeschlafen, das
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