0944 - Blutgespenster
Blutdurst wuchsen die Untoten über sich selbst hinaus, und ein Kind konnte sich erst recht nicht gegen sie wehren.
Marek hatte die Erinnerung an das Vampir-Phantom zum Glück abschütteln können, und er war dabei, seinem Kampfnamen alle Ehre zu machen. Er hechtete der Blutsaugerin in den Weg, die nur Augen für das Kind hatte, aber den Mann über sich nicht sah. Dann stieß er zu.
Es war wirklich der letzte Augenblick gewesen, um zu einem Erfolg zu gelangen. Die blutige Lucy hatte bereits die Arme ausgestreckt, um das Kind zu packen, und ihre Hände hatten sich schon um die Fußknöchel gelegt, als Marek ihr seinen Pfahl in den Rücken rammte.
Er hatte hinter diesen Stoß eine derartige Wucht gelegt, daß er selbst auf die Blutsaugerin fiel und den Pfahl unter sich begrub, so daß er nicht mehr zu sehen war.
»Stirb!« keuchte er. »Stirb, du Bestie! Du wirst kein Blut mehr trinken, du verfluchtes Untier!«
Ein mörderischer Schrei drang aus dem Mund der tödlich verletzten Vampirfrau. Zugleich schoß eine Welle von altem Blut hervor und breitete sich aus.
Es klatschte fast bis an meine Füße, denn ich war auf meinem Platz nicht mehr stehengeblieben und freute mich darüber, daß Marek es geschafft hatte.
Das Mädchen kriegte davon nichts mit. Das Grauen lief an ihr vorbei. Zwar hielt Lucy die Augen offen, aber ihr Blick war nach innen gerichtet. Vielleicht zauberte sie sich dort eine eigene, wunderschöne Welt, denn Kinder stehen ja manchmal unter einem wunderbaren Schutz, um dem Grauen zu entgehen.
Marek erhob sich mit schwankenden Bewegungen. Ich stützte ihn ab, während er tief ausatmete. Er betrachtete seinen Pfahl, sah die Nässe an der Spitze und nickte sich selbst zu. »Er und das Pendel, John, ich glaube, ich werde immer besser.«
»Das wirst du auch, alter Junge«, erwiderte ich und kümmerte mich dann um das Kind…
***
Auf meinen Armen trug ich die kleine Lucy nach unten. Marek leuchtete mit der kleinen Lampe vor uns her, damit ich die ausgetretenen Stufen nicht verfehlte und zusammen mit Lucy die Treppe hinabfiel. Wir hatten einen Fall gelöst, aber es waren trotzdem Fragen offen geblieben, wie so oft.
Draußen erwischte uns wieder die Kälte. Das Thermometer war noch weiter gefallen. Über uns hatten sich die Wolken verzogen, und ein voller werdender Mond schickte sein platinblondes Licht zur Erde.
Ich stellte Lucy auf die Füße, hielt ihre Hand fest, um sie zu wärmen.
Ihre eigenen Handschuhe hatte sie verloren, deshalb streifte ich ihr meine über, obwohl sie viel zu groß waren.
»Gehen wir jetzt nach Hause?« fragte Lucy.
»Ja, zu deinen Eltern.«
»Ich durfte gar nicht in den Turm. Jetzt bin ich doch dort gewesen«, sagte sie. »Komisch.«
»Manchmal macht man eben Ausnahmen.«
Lucy kicherte. »Ob Mum und Pa wohl schimpfen werden?«
»Bestimmt nicht.«
Die Kleine schwieg. Auch wir sagten nichts. Wir hatten sie zwischen uns genommen. Unter unseren Füßen knisterte wieder das gefrorene Laub, und wir freuten uns irgendwie über diese Geräusche, weil sie einfach so echt klangen.
»Das war aber eine böse Frau«, sagte Lucy nach einer Weile, als wir schon die Lichter des Ortes erkannten.
»Nicht alle sind böse«, machte ich ihr Mut.
»Die war mit mir verwandt, nicht?«
»Ich vermute es.«
Lucy lächelte vor sich hin, was mich wunderte, aber ich stellte keine Frage mehr. Zudem war ich froh, daß sie das Thema nicht mehr anschnitt. Ich hoffte, daß sie die Erlebnisse schnell verkraften würde.
»Sie hat mich sogar richtig lieb gehabt!«
»Bitte?«
Lucy nickte heftig. »Ja richtig lieb. Es war toll.«
»Wo hat sie dich denn lieb gehabt?«
»Weiß ich auch nicht mehr.«
»Dann hast du das bestimmt geträumt.«
»Kann sein. Ich habe viel geträumt, glaube ich.« Sie lachte plötzlich und wollte, daß wir schneller gingen,- was wir auch taten. Mir und Marek allerdings waren ihre Worte schon seltsam aufgestoßen, aber wer konnte schon sagen, was im Kopf des Kindes vorging?
Jedenfalls atmeten wir auf, als wir die ersten Häuser sahen. Vampire entdeckten wir nicht. Der Ort lag auch in einer schon bedrückenden Ruhe vor uns. Die Gassen waren ziemlich finster. Das Licht hinter einigen Fenstern kam mir kalt vor.
Dann erreichten wir das Haus der Tarlingtons, und wir hatten die Tür noch nicht erreicht, als die Besitzer aus ihrem Haus stürmten und auf Lucy zuliefen.
»Meine Güte, Kind!«
Beide umarmten ihre Tochter, und wir standen etwas verlegen daneben. Ich schaute
Weitere Kostenlose Bücher