0945 - Verdammte Totenbrut
wenn sie vor ihrer Staffelei stand. Sie hatte eigentlich vorgehabt, am Tag zuvor, als sich William schon in London befand, rauszugehen und die wie mit Zuckerguß überzogene Landschaft zu malen, aber irgendwie hatte sie nicht die Kurve gekriegt. Es war auch sehr kalt gewesen, und in der Stadt selbst boten die Geschäfte und kleinen Einkaufspassagen Abwechslung genug.
So hatte sie nicht gemalt und war nur durch die Läden geschlendert. Tief in den Anblick der ausgestellten Dinge versunken, aber auch tief in ihre eigenen Gedanken, denn sie dachte schon darüber nach, wie es mit ihr und William weitergehen sollte.
Er mochte sie, und sie mochte ihn. Beide waren sie erwachsen genug, um Vorteile und Risiken einer Partnerschaft abschätzen zu können, und das war für Wendy auch nicht das Problem. Sorge bereitete ihr William Cox, von dem sie einfach zuwenig wußte.
Er war mehr als zehn Jahre älter als sie. Männer wie er hatten eine Vergangenheit, doch auf gezielte Fragen hin hatte sie stets ausweichende Antworten erhalten, und so war ihr auch die Fahrt nach London nicht geheuer, trotz seiner Beteuerungen.
Wendy wußte, daß es da noch etwas in seiner Vergangenheit gab, mit dem sie nicht zurechtkam. Es war wie ein dunkler Fleck, der größer und größer wurde, je länger sie sich kannten, der mittlerweile wie ein Schatten zwischen ihnen beiden stand.
Das mußte geklärt werden. Wendy nahm sich fest vor, ihren William noch an diesem Abend festzunageln und auch keine Ausreden mehr gelten zu lassen.
Er mußte reden. Er mußte ihr die Wahrheit sagen. Sie wollte auf keinen Fall die Katze im Sack kaufen. Später würden sie dann, wenn alles klappte, über eine gemeinsame Zukunft sprechen, aber nicht so im Vakuum.
Mit diesem Vorsatz schwang sich Wendy aus dem Bett. Sie mochte es nicht, wenn es im Schlafzimmer zu warm war. Auf dem Teppich ging sie zum Fenster.
Die beiden Hälften der Vorhänge zog sie nur wo weit zur Seite, daß eine Körperbreite entstand.
Durch die Lücke schaute sie nach draußen in den Garten, über dem noch immer die Dunkelheit schwebte, der leer wirkte, weil die Bäume ihr Laubwerk verloren hatten. Es lag jetzt als natürlicher Teppich auf dem Boden, bedeckt von einer leichten Reifschicht, die einen silbrigen Schimmer abgab.
Im Garten bewegte sich nichts. Der Frost hatte alles erstarren lassen. Es segelte nicht ein Vogel durch die Luft. Die gefiederten kleinen Freunde, die zu dieser Jahreszeit noch im Land geblieben waren, hockten in irgendwelchen Verstecken und würden sich erst bei Einbruch der Helligkeit auf die Suche nach Futter machen.
Wendy wandte sich vom Fenster ab und schlurfte in ihren dünnen Schlappen auf die Tür zu. Sie trug ein helles Nachthemd, dessen Saum ihr bis zu den Knöcheln reichte. Der Ausschnitt war ziemlich breit. Wenn sie sich nur um eine Idee bückte, dann lagen ihre Brüste frei.
Sie ging ins Bad.
Das Licht war zu grell. Es fiel auch gegen das Fenster mit dem undurchsichtigen Glas, riß Wanne und Dusche aus der Dunkelheit sowie die beiden Waschbecken.
Die Zimmer in diesem alten Haus waren noch groß, und Wendy hatte ihre Staffelei im Gästezimmer aufgebaut, das zum Süden hin lag und oft sehr gutes Licht bot.
Sie schaute sich im Spiegel an und schüttelte den Kopf, als sie ihr eigenes Gesicht sah. Zerknittert, erschöpft, mit müden Augen. Selbst das halblange, glatte, blonde Haar kam ihr fahl vor und umhing strähnig ihr Gesicht.
Sommersprossen, eine schmale Nase, etwas zu dünne Lippen, grüngraue Augen. Eine Schönheit war sie nicht, sondern eine Frau aus dem Leben.
Wendy Starr hatte immer allein gelebt, und das hatte sie auch so fortführen wollen, dann aber war es zu der Begegnung mit William gekommen, über die sie noch heute, einige Wochen später, den Kopf schüttelte. Es hatte sie wie ein Blitz erwischt. Sie hatte sich regelrecht verliebt. Vergleichbar mit einem Teenager, nur war bei ihr dieses Gefühl geblieben, und auch William war es so ergangen.
Sie war dann in seine große Wohnung gezogen und fühlte sich sehr wohl. Daß ihr neuer Freund nicht zur Arbeit ging, machte ihr nichts aus. Er hatte von einem kleinen Vermögen erzählt, das ihm ein Onkel hinterlassen hatte. Außerdem war er der Meinung, daß jüngere Leute arbeiten sollten, er hatte seine Pflicht schließlich getan.
Jeden Tag wunderte sich Wendy aufs Neue darüber, wie sie ihre ehernen Grundsätze so schnell über Bord hatte werfen können, aber Gefühle waren nun mal stärker als
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